Mehr als 50 Wissenschaftler und Sicherheitsfachleute machten sich Mitte der 1990er Jahre unter der Obhut des Nationalen Forschungsrates der USA an die Arbeit, eine „integrierte nationale Strategie für die Kennzeichnung, Rückverfolgung und Lizenzierung von Sprengstoffen“ zu entwickeln. 1998 publizierte das Committee on Marking, Rendering Inert, and Licensing of Explosive Materials (Abk. d. Vf: ‚COMRILEM‘) die Ergebnisse in einer 380seitigen Studie mit dem Titel Containing the Threat from Illegal Bombings. Die Studie, die unter anderem ein Ratgeber für das Bureau of Alcohol, Tobacco, and Firearms (ATF), den US-Kongress und Düngemittelhersteller sein sollte – für die Düngemittelhersteller saß beispielsweise William M. Haynes von Monsanto Inc. mit im Komitee -, befasst sich umfangreich mit der Kennzeichnung verschiedener Explosivstoffe, wobei ein Schwerpunkt die Chemikalie Ammoniumnitrat und dessen Gefährlichkeit ist.
Im Kern der ‚COMRILEM‘-Studie nennen die Autoren die verschiedenen Möglichkeiten zur Detektion von Sprengstoffen unterschiedlicher Art und die zum Einsatz kommenden Markierungs- und Rückverfolgungsvarianten, um insbesondere illegalem Transport und krimineller Nutzung im Vorfeld einer Detonation (pre-blasting) und danach (post-blasting) auf die Spur zu kommen. Neben Aromamarkern, die vor allem in plastischen Sprengstoffen wie Semtex (C, C2, C3, C4) eingesetzt werden und von geschulten Hundenasen meist schnell detektiert werden können, werden auch metallische Marker mit hoher, aber nicht zu hoher atomarer Masse verwendet, die mittels Röntgenstrahlung sichtbar gemacht werden können. Ist die atomare Masse von Beimischungselementen zu hoch, wird etwa plastischer Sprengstoff zu schwer und in seiner Explosivkraft gemindert. Abgesehen davon, dass derartige Beimischungen auch ein Kostenfaktor sind.
Bis heute gibt es lediglich in der Schweiz, dies seit 1980, ein Gesetz, das die Hersteller von Sprengstoffen verpflichtet, Marker und sogenannte Taggants bzw. Tagging agents zur Detektion und Rückverfolgung Sprengstoffen beizumischen. Zwar existieren in allen OECD-Staaten Sprengstoffgesetze und -verordnungen, allerdings behandeln sie vorwiegend Umgang, Verpackungskennzeichnung, Lagerung, Verkauf, Handel, Sprengberechtigte, Sicherheitsvorschriften bei der Verwendung. Die Kennzeichnung zur Rückverfolgbarkeit, etwa nach legalem Verkauf, ist hierzulande in der EU-Richtlinie 2008/43 geregelt (BR-Drucksache 173/09 v. 2.02.2009). Eine Verpflichtung zum Einbringen von Taggants besteht nicht. Indes, die meisten Hersteller halten sich an das Einbringen von Markern. Einige mischen zusätzlich auch Taggants bei. Letztere sind immer dann von besonderer Wichtigkeit, wenn es zu einer Explosion gekommen ist und Forensiker sich an die Aufgabe machen müssen, festzustellen, um was für einen Sprengstoff aus welcher Charge es sich handelt, woher er kommt und wer ihn gekauft hat.
Ammoniumnitrat, Hauptbestandteil in Kunstdüngern, wurde am 19. April 1995 für den Anschlag auf das Alfred P. Murrah Federal Building in Oklahoma City eingesetzt, bei dem offiziellen Angaben zufolge 168 Menschen den Tod fanden und 680 teils schwerstverletzt wurden. Für die Tat waren Timothy McVeigh und Terry Lynn Nichols verantwortlich gemacht und verurteilt worden. McVeigh wurde im Juni 2001 mit der Giftspritze hingerichtet; Nichols erhielt lebenslänglich und sitzt noch ein. Knapp eine Tonne Ammoniumnitrat waren – mit Zusätzen – zur Explosion gebracht worden. Mehr als 300 Gebäude wurden durch die Detonation in Mitleidenschaft gezogen. Die als Attentäter Verurteilten hätten – laut im Internet publizierter Aussagen von Timothy McVeigh – keine 5000 Dollar für das Sprengmittel benötigt. Neben dem menschlichen Leid und der ums Leben Gekommenen verursachten die Attentäter einen Schaden von weit über 600 Millionen Dollar. Die Autoren der ‚COMRILEM‘-Studie referieren auf dieses Attentat, wie auch auf das von 1993 gegen das ehemalige World Trade Center zu New York.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund rückte das Thema „Markierung und Rückverfolgung von Sprengstoffen“ wieder in den Vordergrund, nachdem es fünfzehn Jahre lang politisch und ökonomisch kaum von Relevanz gewesen war. Seit den 1970er Jahren bis zu Beginn der 1980er hatte die ATF in Kooperation mit den Unternehmen DuPont, Hercules und Atlas Powder eine Reihe von Marker- und Taggant-Beimischungen in Sprengstoffen, zu denen auch Schießpulver gehört, finanziell gefördert. Schließlich wurde das Projekt eingestellt. Angeblich aus Kostengründen. Doch Karl S. Kruszelnicki schreibt in seinem 1999 erschienenen Beitrag in ABC Sciences unter dem Titel Tagging Explosives, dass Interessen im Spiel gewesen seien. So habe die US-amerikanische National Rifle Association (NRA) – Vorsitz damals: Schauspieler Charlton Heston – argumentiert, die Beimischung von Taggants in Schießpulver könne es gefährlich machen (!), indem es instabil werde und „spontan“ explodiere. Ein anderes Argument habe gelautet, es könne „schneller unbrauchbar“ werden. Möglicherweise hatte die NRA sogar Recht, habe das Mischungsverhältnis damals doch laut Kruszelnicki 500000 ppm (parts per million), mithin 1:2 betragen. Hingegen habe „die Schweiz niemals ein Problem mit der Beimischung von Taggants in Schießpulver“ gehabt. Um einen Sprengstoff wie Schießpulver nach der Explosion zu identifizieren (post-blasting identification), reiche eine Beimischung von 250 ppm, mithin 1:4000. Kruszelnicki bezieht sich hiermit auf Forschungsergebnisse der Firma Microtrace.
Die Firma wurde 1985 in Minneapolis von dem im Oktober 2007 im Alter von 86 Jahren verstorbenen Biochemiker Richard G. Livesay gegründet. Livesay war nach dem Zweiten Weltkrieg einige Zeit für die CIA in Deutschland tätig gewesen. 1959 heuerte er bei der Minnesota Mining & Manufactoring (3M) an und beschäftigte sich unter anderem mit thermo- und duroplastischen Polymeren, wobei ihn bei diesen wesentlich aus Kohlen- und Wasserstoff bestehenden Verbindungen die Duroplaste offenbar am meisten interessierten. Livesay, der später noch eine Professur im Fachbereich Chemie an der Whitewater University in Wisconsin innehatte, entwickelte bei 3M einen polymeren Taggant, der Sprengstoffen beigemischt werden kann und deren Detonationen übersteht. Der Mann gilt als Vater der Micro Taggants, Ingredienzien im Mikrometerbereich. 1975 veröffentlichte er eine für die Branche wegweisende Studie¹. Das Patent zu seiner Entwicklung kaufte er seinem Arbeitgeber 3M später ab und gründete damit Microtrace. Lange Jahre war die Schweiz bzw. waren schweizer Unternehmen Livesays einziger Kunde.
Auch für Ammoniumnitrat wurden chemisch-physikalische Fingerabdrücke – auf Isotopenbasis – entwickelt, die die Identifikation und Herkunft des für die Herstellung von Sprengstoff geeigneten Düngers rückverfolgen ließen. Sogar, laut Kruszelnicki, im Bereich ppb (parts per billion). Doch die großen Hersteller von Düngemitteln mit Hauptbestandteil Ammoniumnitrat fürchteten aufgrund US-amerikanischer Entschädigungszahlungsurteile in Haftung genommen werden zu können, wenn sie ihren für die Sprengstoffherstellung geeigneten Produkten rückverfolgbare Ingredienzien beimischten und „ruderten eifrig zurück“ (Kruszelnicki). Im Zuge verschärfter Sicherheitsbestimmungen und -gesetze nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 sei die weltweite Produktion von Ammoniumnitrat laut des Wissenschaftsautors James Glauser „spürbar“ zurückgegangen.² Bis dahin habe der Anteil dieser Chemikalie für die Sprengstoffherstellung 24% der Weltproduktion betragen, während für die agrarische Nutzung 15% verwendet worden seien. Zahlen, die für Anhänger des Großen Ganzen womöglich Bedeutung haben; für entschlossene Bösewichte sind sie uninteressant, solange sich Ammoniumnitrat legal beschaffen lässt und sie keine Taggants als Bestandteil zu befürchten haben. Denn wird ein Taggant beigemischt, ist dieser quasi der Fingerabdruck des Sprengstoffs.
Abseits von Ammoniumnitrat sind die von Livesay entwickelten polymeren Taggants für die sich mit Sprengstoffen und dem post-blasting beschäftigenden Forensiker ein maßgeblicher Ansatz zur Identifikation der Lieferanten-Endverbraucher-Kette und bei illegaler Anwendung eine wichtige Hilfe für die strafrechtliche Verfolgung von bombenden Bösewichten. Die auf Livesay zurückgehenden Taggants sind winzige Melamin-Alkyd-Polymere von nur wenigen Mikrometern Größe, meist mehrschichtig (Multilayer) in unterschiedlichen Farben gesprüht, gepresst, gegossen oder gedruckt, die einen Mikrofarbcode darstellen und die hohen Explosionstemperaturen und -geschwindigkeiten von Sprengstoffen überstehen³. Zu den deutschen Herstellern bzw. Verarbeitern dieser polymeren, im Kern auf Livesay fußenden Taggants gehört etwa die in Nottuln ansässige Firma 3S Simons Security Systems mit ihren Secutag®-Produkten, wie das zusätzlich zum Farbcode mit einer Magnetschicht versehene MICOT. Die Magnetschicht soll nach einer Explosion das Auffinden der Taggants erleichtern. Ist hingegen kein Taggant in den Sprengstoff eingebracht worden, erschwert dieser Umstand die Arbeit von Forensikern. Sie können ihn dann kaum zurückverfolgen.
Weshalb sich in den OECD-Staaten, insbesondere in Deutschland, an der Schweiz noch kein Beispiel genommen wurde, ist vor dem Hintergrund der Doktrin zur Terrorismusbekämpfung nicht nachvollziehbar. Klar ist, dass die verpflichtende Beimischung von Taggants jeden Hersteller, Lieferanten und Käufer indentifizierbar machte. Das schwache Interesse an einem Gesetz nach dem Vorbild der Schweiz hat die Hersteller von Taggants seit 1980 kreativ werden lassen. Sie setzen weltweit viele Milliarden Euro mit Markern und Taggants in der Bekleidungs-, Verpackungs- und Metallindustrie um; in Bereichen vor allem, in denen es um Produktpiraterie und -verfolgung (z. B. RFID-Chips) geht. Das war anfangs nicht Livesays Intention.
1 Richard G. Livesay: Tagging Explosives with Organic Microparticles, 1975
2 James Glauser: Ammonium nitrate. Beitrag für SRI Consulting, April 2011
3 Beispielsweise beträgt die Explosionstemperatur von Semtex C4 laut dessen im tschechischen Pardubice-Semtín ansässigen Produzenten Explosia 2800 °C, die Geschwindigkeit 7600 m/s

GEOWIS