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Titel-Ausschnitt
REZENSION | Contaminated Rivers

Verseuchte Flüsse

Das jüngst erschienene Buch Contaminated Rivers - A Geomorphological-Geochemical Approach to Site Assessment and Remediation verdeutlicht lehrbuchhaft, wie sehr die Ressorce Süβwasser gefährdet ist
Von MAIK MENSING |
Lesedauer ca. 7-8 Minuten |
26.06.2007

Zu bald Dreivierteln besteht unser Blauer Planet aus Wasser. Knapp 97 Prozent des kostbaren Nasses macht das Salzwasser der Ozeane und Meere aus, aus dem bekanntlich nur mit hohem technischen Aufwand Trinkwasser gewonnen werden kann. Der Rest ist Süβwasser, überwiegend gebunden in Gletschern. Nur etwa ein Tausendstel (0,003%) des Süβwassers steht zur lebenserhaltenden Nutzung des Menschen bereit. Selbst wenn alle Gletscher innerhalb der kommenden 100 Jahre abschmölzen, stünden nur rund drei Prozent des die Spezies Mensch versorgenden Liquids zur Verfügung.

Schon 1986 hatte die Weltgesundheitsorganisation für 44 Länder, darunter 34 des afrikanischen Kontinents, festgestellt, dass deren Bevölkerungen zu 50-75 Prozent keinen Zugang zu „sicherem Trinkwasser“ hätten¹. Für die OECD-Staaten stellte sich die Situation damals zwar nicht so dramatisch dar, da ausreichend Klärwerke und Wasseraufbereitungsanlagen für genieβbares Trinkwasser sorgen und auch für Industriebetriebe genügend Nutzwasser bereit steht, allerdings war auch vor über 20 Jahren der Anteil der OECD-Bevölkerungen, die nur aufbereitete Abwässer als Trinkwasser serviert bekamen, schon enorm. So betrug der Anteil der Bevölkerung, der Trinkwasser aus aufbereitetem Abwasser zur Verfügung stand, etwa im wasserreichen Schweden mehr als 80 Prozent; in der Schweiz, in Groβbritannien, der damaligen Bundesrepublik Deutschland, in Finnland – auch nicht arm an Wasservorkommen – und in den Niederlanden belief er sich auf über 70 Prozent.

An dieser Situation hat sich bis heute wenig geändert. Obwohl die Ressource Süβwasser nur begrenzt vorhanden ist, wird mit ihr in vielen Regionen der Welt seit Jahrhunderten umgegangen, als würde sie niemals versiegen. Miller/Orbock Miller unternehmen in ihrem ausgezeichnet strukturierten, in zehn Kapitel segmentierten Lehrbuch, das mit vielen Beispielen und Abbildungen vor allem zum gesamtamerikanischen Kontinent aufwartet, neben umfangreichen Betrachtungen zur Rolle fluvialer geomorphologischer Prozesse auch den gelungenen Versuch, die unterschiedlichen Auswirkungen dieser Prozesse zu charakterisieren. Schritt um Schritt führen die Autoren durch das wissenschaftlich komplexe Thema.

Sie beginnen mit einem fundierten Überblick zur kaum 40 Jahre alten Disziplin, indem sie zunächst eine detaillierte Kategorisierung und Beschreibung der Verunreinigungstypen geben – unterteilt in organische und anorganische. Unterlegt mit chemischen Formeln, deklinieren sie in ausreichend knapper Form die organischen (vulgo: sich biologisch zersetzenden) Kontaminanten durch, zu denen neben pathogenen (Bakterien, Viren, Würmer) und bio-chemischen Nährstoffen (eutrophe K.) vor allem aliphatische und aromatische Chlorkohlenwasserstoffe (KWS) gehören. Etwas knapper, indes nicht weniger verständlich, gehen sie mit Hilfe einer Tabelle auf die anorganischen (vulgo: sich nicht zersetzenden) Kontaminanten ein, zu denen metallische, radioaktive und der Industrialisierung geschuldete Substanzen zu zählen sind.

Bereits in diesem ersten Kapitel gehen die Autoren auch darauf ein, welche Aufgaben Kontroll- und Analyseinstanzen (Anm. d. Vf.: in entwickelten Ländern) haben und hätten, und sagen deutlich, dass etwa „das Sammeln von chemischen und physikalischen Daten ein extrem teures Unterfangen“ sei. In Kapitel 8 untermauern sie diese These auch anhand einer Tabelle. Danach belaufen sich die Entgiftungskosten (Clean-up costs) beispielsweise des von Arsen verseuchten Lower Menominee Rivers (US-Staaten Wisconsin/Minnesota) auf 1,3 Millionen Dollar; für den Grand Calumet River (Indiana) weist die Tabelle schon 55 Millionen aus; für den Hudson River (Bundesstaat New York) sind es 100-150 Millionen. Der Fox River (Wisconsion) braucht mehr als 300 Millionen. Das summiert sich. Allein in den USA müssten nach der naturgemäβ nicht vollständigen Tabelle mindestens rund 1,2 Milliarden Dollar aufgewendet werden, um die gelisteten verunreinigten Flieβgewässer zu entgiften. In Westeuropa dürfte es danach im Vergleich kaum preiswerter sein. Der patagonische Río Agrío, in dem sich neben Blei und Zinn noch andere toxische Substanzen und Acide befinden, wäre den Autoren zufolge mit 100-200 Millionen Dollar Aufwand zu entgiften; der im Norden des US-Bundesstaates Idaho dahinflieβende Cœur d’Alène, in dem vor allem Produktionsrückstände aus Silberminen nachweisbar sind, gar mit 360 Millionen. Die gleichnahmige Stadt am unreinen Fluss verliert darüber auf ihrer Webseite allerdings kein Wort.

Anhand dieser wenigen Zahlen lässt sich erahnen, welche Kosten Volkswirtschaften, die betriebswirtschaftlich orientierten Produktionsbetrieben freien Lauf lassen, im Falle notwendiger und strikter Reinigung fluvialer Gewässer entstünden. Dabei haben die Autoren etwa China und Korea noch nicht einmal in ihre Beispiele miteinbezogen. Dies überschritte auch den Rahmen dieses Lehrbuchs, das in klassisch rationalem Stil verfasst ist und nicht den Hauch etwa journalistischer oder mutmaβender Anwandlung aufkommen lässt. Das Operationalisierbare, Messbare und Methodische steht im Vordergrund. Keine zu dieser Disziplin gehörenden Faktoren werden ausgelassen.

Das abseits des Lehrbuchhaften durchaus ziehbare Zwischenfazit des Lesers könnte lauten: es sind die kleineren Flüsse, die am meisten unter Kontaminationen leiden. Jene 200-1000 Kilometer langen, unscheinbar und nicht selten gemächlich ihrem Bett folgenden Flüsse, die kaum Beachtung finden, in denen jedoch giftige Gefahren lauern. Die groβen Ströme, denen allgemein mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, schwemmen kraft ihrer je nach Saison wuchtigen Flieβgeschwindigkeiten oder schieren Wassermassen viel Sediment, Uferkrume und -profil mit sich und ins Meer und entledigen sich damit vieler Schadstoffe. In den Sedimenten von Staudämmen und im Grundwasser kumulieren sie, wie die Autoren aufzeigen.

Contaminated Rivers ist ein durchgehend analytisch und hervorragend explizierend angelegtes Lehrbuch, dessen Ziegruppen unverkennbar Studenten, Feldforscher und Hochschullehrer sind, wobei der sich mit der Thematik intensiv auseinandersetzende Laie mit dieser Lektüre kaum überfordert wäre. Es besticht nicht nur mit einer Vielzahl an Abbildungen und Listungen, sondern auch durch Klassifizierungen und mathematische wie auch physikalische Formeln, ohne die eine geomorphologisch-geochemische Annäherung zumindest im Sinne wissenschaftlichen Anspruchs nicht ausreichend wäre. Die Autoren nehmen diese Hürde souverän.

Neben der Detektion langlebiger toxischer Substanzen, beispielsweise Schwermetallspuren und anderer, etwa radioaktiver und chemischer Gifte sowohl in den Sedimenten von fluvialen und statischen, wenig durchlüfteten und strömigen Gewässern (Seen), als auch im Grundwasser, nehmen sich die Autoren strukturell und schadstoffbezogen Ablagerungen an Ufern, in Flussauen und Bodenprofilen vor. Auch der Veränderung von ursprünglichen Flussläufen bis in die jüngere Vergangenheit schenken sie Aufmerksamkeit (siehe Abbildung Carson River). Fluvial bedingte Ufererosionen werden ebenso thematisiert wie Verwitterungsprozesse und Wurzelfreilegung gewässernaher Gewächse durch Evaporation, Trockenzeiten oder durch Wind verursachte Krumen- und Sedimentabtragung. Was sich hier nun so knapp zusammengefasst liest, nimmt im Lehrwerk wichtigen Raum ein.

Die Autoren machen sich die Mühe, den Sachverhalt nicht nur zu quantifizieren und zu qualifizieren, sondern leisten es sich auch, dem Leser und Lerner die wissenschaftliche Einschätzung durchgehend darzulegen. Das ist abseits der beeindruckenden Fülle von Beispielen und angebracht rationaler und unterlegter Kritik ein enormes Plus. Auch widmen sich die Autoren Lösungsansätzen. Insgesamt liefern Miller/Miller Orbock eine lehrreiche, wissenschaftlich jederzeit haltbare Bestandsaufnahme zu unserem 0,003 bis maximal 3 Prozent verfügbaren, unbedingt schützenswerten Lebenselixier.

Jerry R. Miller/Suzanne M. Orbock Miller: Contaminated Rivers. A Geomorphological-Geochemical Approach to Site Assessment an Remediation. Englisch. Hardcover, 418 S.; ISBN 978-1-4020-5286-6. Springer, Dordrecht (NL), Berlin, Heidelberg, New York. 2007

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