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Getrocknete Black-Soldier-Fliegenlarven für Fischfang und -zucht in Zimbabwe | FAO / Zinyange Auntony
WELTBEVÖLKERUNG UND ERNÄHRUNG

Probleme des Bevölkerungswachstums I

Das globale Bevölkerungswachstum verursacht eine Reihe von Problemen. Eines der gravierendsten ist die Nahrungsmittelsicherheit und -versorgung. Teil I
UWE GOERLITZ |
Lesedauer ca. 10-12 Minuten |
03.07.2025

Der britische Ökonom Thomas Robert Malthus (1766-1834) gilt als einer der Pioniere der Bevölkerungswissenschaften. Malthus entwickelte eine Theorie zur Überbevölkerung, die er 1798 unter dem Titel An Essay on the Principle of Population vorstellte. Aus der Tatsache einer sich stetig vermehrenden Bevölkerung folgerte er, dass die Landwirtschaft sie nicht ernähren könne. Daraus ergebe sich zwangsläufig bei jedem noch so geringen Wachstum über null ein Missverhältnis, das heißt nicht ausreichend Nahrungsmittel für alle Menschen. Malthus war nicht unbedingt ein Philanthrop. Seine Theorie, wonach die Bevölkerung exponentiell wächst, die Nahrungsmittelproduktion trotz Berücksichtigung sich verbessernder Produktionsmethoden hingegen nur linear, zeigt eine dystopische, zukunftspessimistische Welt. Das Bevölkerungswachstum führe zu steigenden Preisen von Nahrungsmitteln, sinkenden Reallöhnen, wirtschaftlichem Niedergang, Verelendung, Hungersnöten und Krieg. Ursprünglich präferierte Malthus eine dirigistische Rückkehr zu subsistenzbasierten Bedingungen, d.h. die Selbstversorgung einer Bevölkerung in einem dicht besiedelten Raum sicherzustellen. Später richtete er seine Aufmerksamkeit auf Methoden zur Beschränkung des Bevölkerungswachstums. So empfahl er z.B., mehr in die Bildung der Bevölkerung zu investieren und das Heiratsalter heraufzusetzen. Ihm zufolge behinderte ein unkontrolliertes Bevölkerungswachtum die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. 

Massai-Viehmarkt in Narosura, Kenia, 2025 | FAO / Judith Mulinge

Malthus‘ Theorie fand viele Anhänger. Einige während und nach seiner Zeit aufgetretene sogenannte Malthusianische Katastrophen schienen ihn zudem zu bestätigen. So erlebte er das als Jahr ohne Sommer in die Geschichte eingegangene Jahr 1816, als in Europa und Nordamerika aufgrund von Missernten Hungersnöte ausbrachen. Erneut kam es im Zeitraum 1844-49 zu Hungersnöten in Europa. Am stärksten war das Agrarland Irland betroffen, in dem zirka eine Million Menschen zu Tode kamen, was rund 12 Prozent der damaligen Bevölkerung entsprach. Wenige Jahre später, von 1876-79, breiteten sich Hungersnöte in Asien aus, die vor allem in Indien und China hohe Opferzahlen zur Folge hatten. Je nach Quelle sind in Indien zwischen fünf bis 29 Millionen Menschen an Unterernährung und damit verbundenen tödlichen Folgen gestorben, während es dem Geografen Peter Haggett zufolge in China neun Millionen gewesen seien. Zu jener Zeit wies Indien eine Bevölkerungszahl von rund 300 Millionen auf, während sie in China bei 390 Millionen lag. Eine Vielzahl weiterer Hunger- und humanitärer Katastrophen trat im 20. und 21. Jahrhundert auf. So z.B. in China 1928-29 und 1959-61, in einigen Ländern Europas 1933-45, regelmäßig in Afrika, z.B. 1967-70 in der nigerianischen Provinz Biafra, 1984-85 in Äthiopien, 2000-05 in Zimbabwe und 2017 in etlichen ostafrikanischen Ländern. 

In Asien neben Reis ein wichtiges Nahrungsmittel. Hier: Vietnam | Andreas Bratschke / GEOWIS

Während der Hungersnot in Irland, die auf andauernde Kartoffelmissernten zurückgeführt wird, die durch Kartoffelfäule entstanden, war der Bevölkerungsdruck mit fast sechs Millionen bereits hoch. Dadurch reichten die landwirtschaftlichen Flächen und Erträge schon in normalen Erntejahren statistisch nicht aus. Folglich konnten kaum genügend Reserven gebildet werden. Doch nicht alle diese Hungersnöte lassen sich mit der Malthusianischen Katastrophentheorie erklären. So war der Ausbruchs des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 verantwortlich für das Jahr ohne Sommer. Die von dem Vulkan in die Atmosphäre katapultierten Aschewolken verteilten sich und bewirkten, dass nicht genug Sonneneinstrahlung zur Biospähre durchdrang. Darauf folgten bis zur Entstehung der großen Hungernot in Irland vierzehn Missernten. Dürren, Überschwemmungen, Diktaturen, Kolonial-, Befreiungs- und Weltkriege verursachten im 20. Jahrhundert in Europa, Afrika und Asien, z.B. die in Europa so genannte Kulturrevolution in China gegen Ende der 1950er Jahre, ebenfalls Hungersnöte.

Mehr als hundert Jahre nach Malthus‘ Tod gehörte zu dessen bekanntesten Kritikern die dänische Agrarökonomin und spätere UN-Entwicklungshilfebeauftragte für Indien, Ester Boserup (1910-99). In ihrem 1965 erschienenen Buch The Conditions of Agricultural Growth vertrat sie die Auffassung, hoher Bevölkerungsdruck unter der Landbevölkerung in Entwicklungsländern führe zu Innovation und Intensivierung in der Landwirtschaft. Daraus würden sich höhere Erträge pro Flächeneinheit ergeben und dadurch die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen. Malthus habe die Innovationskraft des sich entfaltenden Industriezeitalters und des technischen Fortschritts in der Landwirtschaft nicht ausreichend berücksichtigt. 

Fischmarkt (Tilapia) in Abengourou, Elfenbeinküste, 2025 | FAO / Celeste Dion

Die Veränderungen bei Transportmitteln und Mobilität durch die Erfindung des Automobils und den Ausbau von Eisenbahnstrecken ermöglichten es, Überschüsse aus der landwirtschaftlichen Produktion schneller zu Märkten zu transportieren und zu günstigen Preisen zu verkaufen. Allerdings verkannte Boserup, dass die „höheren Erträge pro Flächeneinheit“ durch den „hohen Bevölkerungsdruck“ wieder aufgezehrt werden. Ihre Theorie präferierte bestenfalls ein Nullsummenspiel, das das Problem nicht löste, sondern es sogar verschärfte, wenn der technische Fortschritt sowie der Ertrag pro Flächeneinheit an seine Grenzen stoßen. Wie bereits erwähnt, war Malthus eher kein Menschenfreund, umso mehr hingegen Rationalist. Dies wird an einer seiner Aussagen deutlich, in der es sinngemäß heißt: „Ein in eine schon besetzte Welt geborener Mensch, dessen Familie nicht die Mittel habe, ihn zu ernähren oder die ihn umgebende Gesellschaft seine Arbeit nicht brauche, habe nicht das mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu verlangen, denn er sei wirklich zuviel auf der Erde.“ Mit anderen Worten: Wer sich nicht selbst ernähren könne, habe die Erde zu verlassen. Den Anhängern des Mathus’schen Gedankengebäudes, die Malthusianer und Neo-Malthusianer wie der einstige Stanford-Professor Paul R. Ehrlich, zu denen zeitweise aber auch der Club of Rome zählte, unterliefen Kritikern zufolge ähnliche Prognosefehler wie Malthus. 

Selbst geringe Überschüsse werden zum Markt getragen, hier in Vietnam | Andreas Bratschke / GEOWIS

Der 1968 gegründete Klub sorgte sich jedoch weniger um landwirtschaftliche Erträge, sondern mehr um Ressourcen und Wohlstand. Er gab sodann am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Studie zur Lage der Welt und Zukunft der Menschheit in Auftrag. 1972 wurde sie von Dennis und Donella Meadows und deren Team unter dem Titel The Limits To Growth (Die Grenzen des Wachstums) vorgestellt. In den darin entworfenen Szenarien, die auf einer umfangreichen Systemanalyse basierten, geht es vor allem um Verfügbarkeit, Verbrauch und Endlichkeit von Ressourcen bis zum Jahr 2100. Die Studie erreichte weltweite Aufmerksamkeit, wurde aber auch kontrovers diskutiert. Wie bei Malthus lautete ein Kritikpunkt, sie berücksichtige zu wenig den technologischen Fortschritt und daraus entstehende Möglichkeiten zur Entdeckung und Nutzung weiterer Rohstoffvorkommen. Rechtzeitig zur 2. Umweltkonferenz der Vereinten Nationen, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, erschien eine aktualisierte Ausgabe der Studie unter dem Titel The New Limits To Growth. In dieser Studie unternehmen die Autoren eine weitgehende Neubewertung der Ressourcenlage der Welt, indem sie zuvor weniger beachtete Faktoren berücksichtigten und aktuellste Daten und Studien verarbeiteten. Ihr mangelt es jedoch z.B. an ausreichender Berücksichtigung des bereits ein Jahr später gestarteten World Wide Web. Auch Fortschritte in der Telekommunikations- und Satellitentechnologie sowie der Weltraumforschung blieben überwiegend unbeachtet.

Zu diesem Zeitpunkt betrug die Weltbevölkerung ca. 5,4 Milliarden Menschen. Damit hatte sie sich seit Malthus‘ Theorie fast verfünffacht, während die global verfügbare und nutzbare Ackerfläche sich nahezu auf 1,7 Milliarden Hektar halbierte. Bis zum Ende des Jahres 2018 war die Weltbevölkerung auf ca. 7,75 Milliarden Menschen angewachsen und die Ackerfläche auf durchschnittlich 1,5 Milliarden Hektar geschrumpft. Daraus ergaben sich ca. 2000 qm pro Kopf. Für Deutschland errechnete der Deutsche Bauernverband 2290 qm pro Kopf. Statistisch lässt sich laut Welternährungsbericht auf dieser Fläche der täglich notwendige Kalorienbedarf durch den Anbau von Nahrungspflanzen decken. Der lässt sich durch das Vertilgen von proteinhaltigen Insekten, wie es in asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen schon lange Usus ist, inzwischen auch in europäischen, nicht decken. 

Zum Markt ist es zu weit. Mais im Straßenverkauf, Vietnam | Andreas Bratschke / GEOWIS

Vielleicht machen Insekten satt, Statistik jedoch keinesfalls. Peter Haggett, Professor Emeritus der School of Geographical Sciences an der Universität von Bristol, konstatierte in seinem 1979 erstmals erschienenen Lehrbuch Geography – A Modern Synthesis bereits wie folgt: „Unsäglicherweise verschleiern globale Bedarfsrechnungen (…) die enormen regionalen Unterschiede im Nahrungsverbrauch. Allgemein gilt, dass zwischen dem wohlgenährten und dem unterernährten Teil der Menschheit etwa ein Verhältnis von 1:6 besteht.“ Prognosen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1975 gingen von einem globalen Wachstum der Bevölkerung auf 12,3 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2100 aus. Erst danach werde es sich langsam reduzieren, wobei es regional deutliche Unterschiede geben werde. Nach Haggetts Maßstab würden dann rund zehn Milliarden Menschen an Unterernährung leiden und die statistische Ackerfläche pro Kopf nur noch die Häfte der heutigen betragen.

2010 korrigierten die UN ihre Prognose deutlich und projizierte die Weltbevölkerung bis 2100 auf 10,9 Milliarden. Gegenwärtig tummeln sich auf der Erde etwa 8,1 Milliarden. Mehr als 2,3 Milliarden davon haben laut FAO keinen regelmäßigen Zugang zu ausreichend Nahrungsmitteln; 864 Millionen davon, mithin ca. 10,6% der Weltbevölkerung, sind akut von Nahrungsmittelknappheit und Unterernährung betroffen. Das erscheint viel, kann aber im Vergleich zu 1975 sogar als Erfolg betrachtet werden. Damals hatte die globale Bevölkerung ca. 4,1 Milliarden, die der Unterernährten mit ca. 850 Millionen jedoch ca. 23% betragen. Das Motto, niemanden zurücklassen zu wollen („No-one is to leave behind“), nach 80 Jahren mehr oder minder erfolgreichen Welternährungs- und Landwirtschaftsprogrammen, ungezählten lokalen und regionalen landwirtschaftlichen Projekten zur Subsistenzproduktion und Entwicklungshilfen von mehr als einer Billion Euro ist bei einem nicht von der Hand zu weisenden permanenten Sockel von 800 bis 900 Millionen Unterernährten letztlich zu anspruchsvoll. 

Reisbau in Vietnam | Andreas Bratschke / GEOWIS

Auch multisektorale Ansätze und Methoden, wie sie vor über drei Jahrzehnten Paul Harrison in seinem Buch Die dritte Revolution dargestellt hatte, haben trotz zahlreicher Projekte bisher nicht dazu geführt, der Misere Herr zu werden. Zwar gibt es erfolgreich Fischfang und -zucht in afrikanischen Regionen, darunter die Elfenbeinküste und Zimbabwe, genauso auch winzige Überschüsse aus bäuerlichen Einzel- oder Kollektivinitiativen, doch wird deren Nachhaltigkeit jährlich aufs Neue auf die Probe gestellt. Wer nur wenige Quadratmeter Land besitzt, kann sich mit Kleintierhaltung vielleicht über Wasser halten. Für den Marktgang aber bleibt oft nichts übrig. Dort ist das Angebot zwar noch groß, aber auch teuer.

Längst wird der Klimawandel für die Misere zumindest mitverantwortlich gemacht, der zudem oft mit dem Attribut „anthropogen verursacht“ dramatisiert wird. Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen, Bodenerosion und -degregation aber machten der Landwirtschaft immer schon zu schaffen. Wenn sie heute regional häufiger auftreten, korreliert das natürlich auch mit den atmosphärischen Veränderungen und Schwankungen, die durchaus auf den anthropogenen Einfluss zurückgeführt werden können. Allerdings nicht vorwiegend auf jene Weise, wie sie die Gegner von Technologien zur Verbrennung fossiler Energieträger den Unkundigen dieser Welt weismachen wollen. Kausal trägt das anhaltende Bevölkerungswachstum insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent und in den arabisch geprägten Weltregionen dazu bei. Dort sind nicht nur Armut und Verelendung weiter auf dem Vormarsch, sondern auch das Reproduktions- und Kontrazeptionsverhalten. Womit wir wieder bei Malthus sind.

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