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REZENSION | Die Außerirdischen

„Wo sind die alle?“

Kurz bevor die öffentliche Debatte über UFOs und extraterrestrisches Leben erneut so richtig begann, erschien Tommaso Pincios Buch mit dem Untertitel Der größte Mythos des 20. Jahrhunderts
Von FRANK SIMONIS |
Lesedauer ca. 6-7 Minuten |
06.11.2007

Selten hat ein Autor das Thema so süffisant behandelt wie der italienische Comic-Zeichner, Teppichverkäufer und Galerist Tommaso Pincio, der nebenbei einen Abschluss in Bildender Kunst hält. Dabei erzählt er weder Ufologen noch jenen, die bestreiten, es gebe Außerirdische, wirklich Neues. Dies jedoch auf eine ausgesprochen lesenswerte Weise, die bei sich mit diesem Thema nie befassenden Menschen reines Amüsement hervorrufen müsste. Um es vorwegzunehmen: das Buch ist keine wissenschaftliche Studie und auch kein Roman, sondern eine teils deutlich augenzwinkernde phänomenologische Abhandlung des jahrtausendelang unerklärlich Gewesenen, das schließlich im 20. Jahrhundert fast erklärbar wurde. Auf die eine oder andere Art bekommen all jene Akteure ihr Fett in virtuos verfassten Seitenhieben weg, die sich zu Beginn des Phänomens der unidentifizierbaren Flugobjekte und deren eventuellen Besatzungen, also etwa seit dem 24. Juni 1947, allzu gutgläubig damit beschäftigten. Anders als die bierernste Herangehensweise von Ufologen, Physikern oder Astronomen stellt Pincio nicht die Frage in den Vordergrund, ob es Außerirdische gebe. Vielmehr widmet er sich auch dem, was UFOs und vermeintliche Aliens auf unserem Planeten und in vieler Menschen Köpfen alles bewirkt haben. Und das ist, folgt man dem Autor, eine Menge.

„Nichtsdestotrotz existieren die Außerirdischen – auf ihre Art. 1997 streiften in San Diego neununddreißig Mitglieder einer Sekte namens Heaven’s Gate ihre leibliche Hülle ab, damit die Außerirdischen sie in ihr Raumschiff laden konnten, welches im Gefolge des Kometen Hale Bopp die Erdsphäre hätte durchqueren sollen. Im Grunde genommen handelte es sich um Suizid. Mit ziemlicher Sicherheit hatten diese Leute nicht alle Tassen im Schrank (…)“, so Pincio auf Seite 18 seines Buches. Bei manchen könnte es heute noch so sein, wie jüngst der ARD-Sendung Menschen bei Maischberger (30.10.2007) zu entnehmen war, in der die einstige Kultmusikerin (‚Mir ist heiß‘) und Ex-Geliebte des 2001 verstorbenen niederländischen Rockmusikers Herman Brood – Nina Hagen – zum Besten gab, Engel seien existent. Damit stieß sie zwar auf Zustimmung bei der ebenfalls in der Sendung anwesenden TV-Moderatorin Sabrina Fox, die „Engel als Lehrmeister“ für sich sehe, beim Physiker und ZDF-Wissenschaftsmoderator Joachim Bublath allerdings nicht. Der Mann verließ die Sendung, bevor sie zu Ende war.

Fünf Wochen zuvor (23.09.2007) hatte ZDF-Nachtstudio-Moderator Volker Panzer das Thema mit dem etwas seriöser wirkenden Titel Die zweite Erde – Gibt es doch Leben im All? behandelt und sich dazu den Autor Andreas Eschbach (Solarstation, 1996), den Professor Harald Lesch (TU München) und den Soziologen Dr. Hans-Arthur Masiske eingeladen. Doch weder der Soziologe mit einem ins rechte Licht gerückten Schmuckstück am Ohr noch der Professor waren in der Lage, sich deutlich vom extraterrestrischen Leben zu distanzieren. Autor Eschbach hielt in der seltsamen Nachtstudio-Runde dem Realismus noch am ehesten die Stange. Ausgangspunkt der Sendung war ein Artikel im renommierten Magazin Science vom 25. April dieses Jahres, in dem von der Entdeckung eines der Erde ähnlichen Planeten berichtet wird. Jedoch nichts Genaues weiß man irgendwie nicht. Betrachtet man das vom ZDF auf seiner Webseite bereitgestellte Video zur Sendung allerdings auf Modem- oder DSL 2000-Anschluss, sorgt der Bildaufbau schon schön für alienhafte Gesichter.

Hätte Tommaso Pincio vor der Veröffentlichung seines Buches – es erschien 2006 in Italien unter dem Titel Gli Alieni. Dove si racconta come e perché son giunti tra noi bei Fazi Editore, Rom – von der deutschen medialen Behandlung im Herbst 2007 von UFOs, Außerirdischen und Engeln erfahren, wäre sie von ihm bestimmt darin berücksichtigt worden. Doch auch ohne diese weitgehend inhaltslose deutsche UFO-Debatte ist das Buch einige Stunden Zeit wert, weil es mit Leichtigkeit ein Phänomen durchgehend kurzweilig unter die Lupe nimmt, das über die Jahrhunderte gesehen manche auf Scheiterhaufen enden ließ und andere mit der Diagnose Paraphrenie zumindest vorübergehend in die Klapse brachte. Womöglich gäbe es ohne UFOs keine Science-Fiction-Literatur zum Thema, wie sie etwa Jules Verne (De la Terre à la Lune, 1865), H. G. Wells (The Time Machine, 1895; The War of the Worlds) oder – ein gutes halbes bzw. fast ganzes Jahrhundert später – Ray Bradbury (The Martian Chronicles, 1950) zu Weltruhm verholfen hat. Auch jene Fliegende Untertasse aus Kunststoff, die damals (1955) als „Flying Saucer“ und später unter der Bezeichnung „Frisbee“ für Millionenumsätze sorgte, gäbe es wohl kaum, jedenfalls nicht schon seit den 1950er Jahren, wie Pincio uns wissen lässt.

Das Phänomen UFO, im 20. Jahrhundert offiziell Ende August 1945 in der Nähe des pazifischen, zu Japan gehörenden Eilands Iwo Jima von der Besatzung eines US-amerikanischen Militärflugzeugs als solches gesichtet und umfangreich auch im mit Verschwörungstheorien aufwartenden Buch Forschung in Fesseln behandelt, geriet flugs zum Wirtschaftsfaktor. Obwohl UFOs irdischen Ursprungs waren, sie – wie auch Lichtspiele am Himmel – ab ihres Aufkommens bald wissenschaftlich erklärt werden konnten, etwa durch elektromagnetische Zusammenwirkungen, hält sich der Mythos bis heute hartnäckig. Da zählt es wohl wenig, dass der Atomphysiker Enrico Fermi laut Pincio gefragt habe: „Where is everybody?“, zu deutsch: Wo sind die alle? Fermi hatte immerhin drei Jahre gewartet, bis er diese Frage im Beisein Edward Tellers (‚Vater‘ der Wasserstoffbombe), Herbert Yorks (Kernphysiker) und Emil Konopinskis (Kernphysiker) im Jahr 1950 gestellt hatte.

Pincio hat erst mal Bildende Kunst studiert und – siehe oben – sich auch noch anderweitig mit Irdischem beschäftigt, bevor er dieses häretische Buch verfasste. Mehr oder weniger schickt er die Götter nicht nur dorthin zurück, wo sie vielleicht noch nie existierten, also ins All, sondern torpediert auch so manche Illusionen gemeiner Massen. Der Text, typographiert in der Schrift Utopia, flüssig übersetzt von Christian Försch, korrigiert mit ein wenig zu vielen Kommata, könnte als origineller Wachrüttler aller Ufologen – zumindest Engelgläubiger – verstanden werden, aber auch als enorm elegante Persiflage auf all diese.

Gab es tatsächlich ein Hakenkreuz im All? Haben Aliens amerikanische Mülleimer geklaut? Wieso taten sie das nicht in der Schweiz, Deutschland oder Frankreich? Weshalb gibt es eigentlich stets unscharfe Fotos von UFOs? Pincio liefert interessante Antworten und Kommentare. Auch zum Phänomen, dass UFOs und Aliens ein riesiges Geschäft wurden. Natürlich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den USA, wo mehr UFOs gesichtet worden sein wollen als irgendwo sonst auf dem Globus. Was für ein Glück für die seit eh und je allem irrationalen aufgeschlossen gegenübertretende Nation. Klar, dass auch die Autoindustrie nicht tatenlos zusehen wollte, um etwa den Spielgeräteherstellern die Dollars zu überlassen. Die American Motor Company (AMC) brachte ab Mitte der 1970er Jahre mit dem Pacer ein Auto auf den Markt, das futuristisch wirkte und nicht selten als Abbild einer Fliegenden Untertasse gescholten worden war. Immerhin wies es erst sechs, später sogar acht Zylinder auf und schnurrte wie ein Alien-Auto über die High- und Freeways.

Giordano Bruno, Dominikaner, 1600 auf dem Scheiterhaufen hingerichtet, Johannes Kepler, dem es 30 Jahre später kaum besser erging, Galileo Galilei und einige andere aus der Historie, manche auch aus der jüngeren, zum Beispiel die CIA, die sich dem homozentrischen Weltbild (bei Pincio heißt es: anthropozentrisch) entweder kritisch oder zustimmend verschrieben sahen, haucht der Italiener beinahe neues Leben ein. Wobei er einige von ihnen hochnimmt, andere wertschätzt. Das Thema aber, nun ja, schmunzelnd behandelt. Fermis Frage allerdings hat Bestand: „Wo sind die alle?“

Tommaso Pincio: Die Außerirdischen. Der größte Mythos des 20. Jahrhunderts. Mit zahlreichen Abbildungen. Hardcover, 270 S., ISBN 978-3-8077-1032-7. Verlag Rogner & Bernhard, Berlin, 2007

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