Knapp 200 Prozent soll die Staatsverschuldung Japans laut der Herbstprognose 2009 des Bundesfinanzministeriums im Jahr 2010 betragen. Für 2011 gehen die Schätzer gar von 206 Prozent aus. Ausgangspunkt für die hohe Staatsverschuldung waren die 1990er Jahre, die sogenannte „verlorene Dekade“, wie Martin Schulz, Volkswirtschaftler am Fujitsu Research Institute in Tokio, es nennt.¹ Seinen Ursprung hatte dieses verlorene Jahrzehnt, das von Deflation geprägt war, die sich durch die Konsumzurückhaltung der Japaner in Erwartung weiter sinkender Preise stetig verstärkte, sowie in der Abwertung des US-Dollars gegenüber der D-Mark, des Yen, des Britischen Pfunds und des Französischen Frankens, die 1985 von den damaligen G5-Staaten Deutschland, Frankreich, Japan, Großbritannien und den USA beschlossen worden war. Daraus resultierten eine starke D-Mark und ein starker Yen. Während die USA durch den abgewerteten Dollar ihr Handelsdefizit mit den westlichen europäischen Staaten verringern und ihr Bruttoinlandsprodukt im Verhältnis zu ihren Schulden – wie Deutschland – steigern konnten, gelang Japan dies nicht bzw. nur zeitweise. Vor allem der starke Yen zog in- und ausländische Spekulanten an, die in Erwartung eines weiter steigenden Yens ihr Kapital in Aktien, Immobilien und den Yen selbst investierten.
Die Rechnung ging nicht auf, die Blase platzte. Überbewertete Aktien brachen ein, ebenso zu hoch bewertete Immobilien. Ganz so wie beim Crash vom September 2008 in den USA. In der Folge hielten sich Unternehmen mit Investitionen zurück, um ihre Schuldenlast zu verringern. Das durch starke Regulierungen geprägte japanische Bankensystem fuhr eine Null-Zins-Politik und stellte Kredite unterhalb der Gestehungskosten bereit. Japan deregulierte sukzessive, so dass sich das japanische Banken- und Finanzsystem bis zu einem gewissen Grad auch für Hedgefonds und Finanzinnovationen öffnen konnte. Da aber noch einige Regulierungsmechanismen beibehalten wurden, blieb Japan mit einigen Schrammen von der großen Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 verschont. Dass das Land seinen Schuldenstand dennoch stetig vergrößerte, liegt vor allem an seinen vergleichsweise geringen Einnahmen und hohen Ausgaben. Der Export, einst eine japanische Domäne, unterschritt 2009 erstmals die Aufwendungen für Importprodukte. Der Staatsapparat gilt als aufgebläht, und trotz aller technischer Innovationen besteht in der Breite noch immer Konsumzurückhaltung, wenn auch längst nicht mehr so stark wie während der 1990er Jahre.

Mit einem allgemeinen Umsatzsteuersatz von fünf Prozent gehört Japan zu den Paradiesen für Unternehmen und in Japan lebende und einkaufende Bürger. Lediglich die chinesische Provinz Taiwan, einige Bundesstaaten der USA und die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln weisen derart niedrige Umsatzsteuersätze auf. Das ist gut für die Konsumenten, aber schlecht für die Staatseinnahmen. Bisher versucht die Regierung unter Premierminister Yukio Hatoyama (Demokratische Partei), im wesentlichen mit den Einnahmen aus Einkommens-, Unternehmens- und Körperschaftssteuern zurechtzukommen, wohlwissend, dass dies ohne eine Erhöhung der Umsatzsteuer aussichtslos ist. Hatoyama, von Haus aus Wirtschaftsingenieur und seit September 2009 an der Macht, hält sich hierbei an ein Wahlversprechen. Mit einigen im Hinblick auf die Staatsverschuldung eher wenig durchschlagenden Konzepten, die auf innen- und sozialpolitischen Frieden ausgerichtet sind, will seine Regierung den Spagat zwischen finanziellen Entlastungen für die Japaner und steigenden Einnahmen für den Staatshaushalt schaffen. So sollen manche Steuerfreibeträge abgeschafft werden, das Schulgeld für höhere Bildungseinrichtungen und beispielsweise die Autobahnmaut für Strecken im ländlichen Raum.
Finanziert werden sollen diese Maßnahmen durch die Emission neuer Staatsanleihen. Hier bauen Hatoyama und sein Finanzminister Hirohisa Fujii auf das Nationalbewusstsein und Staatsvertrauen der Japaner, die als wesentliche Zielgruppe für den Kauf dieser Anleihen infragekommen. Denn Japans Bürger sind statistisch gesehen aufgrund vergleichsweise geringer Steuerbelastungen wohlhabend. Zudem gehört das Land neben China und Deutschland zu den wichtigsten Gläubigerstaaten, und anders als die meisten OECD-, EU- und Industriestaaten steht Japan weniger bei ausländischen Kreditgebern in der Kreide, sondern vorwiegend bei sich selbst.
So könnte das Konzept der japanischen Regierung trotz der enormen Staatsverschuldung von etwa dem Doppelten des Bruttoinlandspoduktes und trotz der erst im Januar 2010 erfolgten Herabstufung durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s auf ein AA aufgehen, ausreichend Bares in die Kassen zu bekommen, um auch noch Schuldentilgung vorzunehmen, interessiert das Rating doch im Normalfall lediglich institutionelle und ausländische Anleger. Mittelfristig wird Japan nach Meinung von Wirtschaftswissenschaftlern jedoch kaum um eine stufenweise Erhöhung der Umsatzsteuer und eine Renovierung seines Sozial- und auch seines Fiskalsystems herumkommen. Angriffen von Spekulanten, die in großem Stil auf den Verfall des Yen setzen, stehen 127 Millionen Samurais und deren Schwerter gegenüber, mit denen jederzeit die vergebenen Kredite an Ausländer eingetrieben werden könnten.
¹ Martin Schulz: Bankenkonsolidierung und Finanzinnovation in Japan. In: Japans Zukunftsindustrien. S. 317-36. Herausgegeben von Andreas Moerke und Anja Walke. Springer, Heidelberg, 2007

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