Schreiben nach Gehör, Rechtsschreibreformen, Inklusion, Laissez-faire-Pädagogik sind nur einige Aspekte, die seit 30 Jahren zu den linksgrünen bildungspolitischen Konzepten gehören und sich wie ein Wanderpilz in die Hochschulen fortbewegt und dort verfestigt haben. Die schon vor ihrem Inkrafttreten heftig diskutierte Veränderung in der Hochschulausbildung – weitgehende Abkehr von der Diplomprüfungsordnung, Implementierung des verschulten Bachelor-/Master-Systems – im Jahr 2002 (Bologna-Prozess) zeigt dies im Ergebnis deutlich. Dem damaligen Ministerium für Schule, Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW etwa saß zwar keine Grüne oder Linke vor, doch in Gabriele Behler (1998-2002, SPD) und Hannelore Kraft (2002-2005, SPD) Schwestern im Geiste. In Hamburg hieß die Befürworterin der Nivellierung Krista Sager (1997-2001), einst im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) und danach trotz Radikalenerlass ins Lehramt gelangt. Dann stand sie für die Schulbildung in der Hansestadt in der Verantwortung.

Als reichten die Konzepte nicht schon aus, mehrere Millionen Schüler zu verwirren, zu unterfordern und anschließend an den Hochschulen oder im Lehrberuf zu überfordern, sorgte und sorgt der Nachwuchs von Zuwanderern mit hoher Reproduktionsrate für zusätzliche Bildungsnivellierung, die die Verblödung der Gesellschaft weitertreibt. Die deutsche Sprache, wie sie bis 1996 unterrichtet wurde, beherrscht kaum noch jemand, der unter dreißig ist; ausreichend gesicherte Geschichts- oder Geographiekenntnisse ebensowenig. Doch wer nichts oder nichts richtig weiß, ist immer darauf angewiesen, zu glauben, was andere ihm eintrichtern. Am Ende steht eine Phrasensoße, in die alles hineingerührt wurde, was gegen eine aufgeklärte humanistische Gesellschaft spricht.
Wie wichtig dabei Hörverstehen in Verbindung mit der Bedeutung des Begriffs und seines Zusammenhangs sind, zeigte sich Mitte November 2019, als ein neues Wort die mediale Runde machte. Appliziert auf einer Schleife, die um einen von der Mülheimer SPD niedergelegten Trauerkranz drapiert war, der an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus‘ erinnern sollte, empörte er die an der Sprachverhunzung mitschuldigen Genossen und die Opfervertreter, denn zu lesen war das je nach Aussprache ähnlich wie Faschismus lautende Kunstwort Verschissmuss. Die Floristin, die den Text telefonisch ausgenommen und an die Druckerei (!) weitergegeben haben soll, verlor durch die hysterischen Genossen anschließend ihre Arbeitsstelle. Nachdem darüber berichtet worden war¹, versehen mit dem Hinweis, sie hätte ihren Arbeitsvertrag aus eigenem Antrieb gekündigt, ergoss sich ein facettenreicher, von Häme bis Beschimpfungen reichender Shitstorm über die Mülheimer Genossen im Speziellen sowie die SPD insgesamt. Die seit Jahrzehnten vernachlässigte landes- und bundesweite Bildungspolitik kam ebenso aufs Kommentartapet wie misslungene Reformexperimente oder die Nivellierung der Anforderungen an Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse.
„Lernen nach Gehör“, eingeführt in Nordrhein-Westfalen von der Rotgrün-Regierung unter Hannelore Kraft (SPD) und Silvia Löhrmann (Grüne) im Jahr 2005 auf der von dem Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen basierenden Lernmethode „Lesen durch Schreiben“, ist dort mit Beginn des Schuljahres 2019/20 von der schwarzgelben Nachfolgeregierung zum Glück abgeschafft worden. Doch wurden einige Zielvorgaben definiert, die Inklusion und den Nachwuchs von Zuwanderern allzusehr berücksichtigen. So ist an Grundschulen nun ein Pflichtwortschatz von 533 Wörtern zu vermitteln, zu lernen und zu verstehen, somit z.B. 167 weniger als in Brandenburg. Wer sich umhört, kann gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass viele Mitbürger kaum über diesen für Grundschüler vorgesehenen Mindestwortschatz hinausgekommen sind.
Es beginnt zuhause im Kleinkinderalter. Wenn aus dem sozialen Umfeld wie Familie und Freunde nicht dazu beigetragen wird oder werden kann, dass der Wortschatz sich entwickelt, weil Eltern zu wenig sprechen und ihren Kindern nichts vorlesen, wenn die Wortbildungsmethodik in der Schule zu kurz kommt oder gar nicht erst richtig vermittelt wird, und wenn sowohl in der Schule als auch zuhause zu wenig gelesen wird, erhöht sich wie von Geisterhand die Anzahl funktioneller Analphabeten Jahr um Jahr. Ein Erwachsener verfügt je nach Bildungsstand über einen aktiven Wortschatz von 3000 bis über 200000 Wörtern, den passiven Wortschatz nicht mitgerechnet. Wolfgang Klein, ehemals Direktor des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik, geht davon aus, dass der Wortschatz der deutschen Sprache ca. 5,3 Millionen Wörter umfasst. Mit einem Prozent davon dürfte man gut durchs Leben kommen. Mit einem Promille eher nicht.
Gendern und Klasse
Nachdem der Senat des Bundeslandes Hamburg, von wo aus die Reichen-Methode in deutschen Schulen ihren Anfang genommen hatte, sich im Jahr 2015 von der über zehn Jahre dauernden Methode verabschiedete, folgte Baden-Württemberg (2016). Zu diesem Zeitpunkt war das Gendern im Hinblick auf das immer im Aktiv stehende Partizip I in nominalisierter Form noch nicht so unverstanden und inflationär eingesetzt worden, wie das inzwischen in Mode ist. So ist ein Studierender zwar jemand, der gerade aktiv in der Uni oder sonstwo studiert, das aber drückt nicht seinen sozialen Status oder seine Tätigkeit aus. Hierfür ist der Begriff Student der maßgebliche. Wenn also Studenten passiv an einer Demonstration teilnehmen, dann sind sie zweierlei: Studenten und Demonstranten. Nehmen sie aktiv daran teil, indem sie sich demonstrierend gebärden, etwa durch das Hochhalten von Plakaten oder Rufen von Parolen, dann sind sie dreierlei: Studenten, Demonstranten und – wahlweise – Demonstrierende. Was sie aber keinesfalls sind: Studierende.
Die Blüten, die das Gendern bereits vor mehr als zwanzig Jahren zu treiben begann, fasste Birgit Kelle in ihrem lesenswerten Buch Gender Gaga zusammen.² Sie weist darauf hin, dass die Juristin Susanne Baer auf Vorschlag der Grünen an das Bundesverfassungsgericht gelangte und dort im Ersten Senat von Februar 2011 bis Februar 2023 wirkte. Zuvor hatte die Juristin mit Professur an der Humboldt-Universität Berlin Deutschlands erstes Gender Kompetenz Zentrum in Berlin geleitet. Aus ihrem Hang zu Gender Studies und feministischer Rechtswissenschaft (!) macht die mit viel Lametta behängte 60jährige keinen Hehl.
Kelle macht in ihrem Buch zu Recht eine Ideologie aus. Sie ähnelt jener, die George Orwell in seinem dystopischen Roman 1984 als Neusprech brandmarkte. Verbreitet wurde sie von Sozialisten mit Floskeln wie „Liebe Genossinnen und Genossen“, während gebildetere Menschen „Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren“ oder „Sehr geehrte Damen und Herren“ als Anrede bevorzugen; von Arbeitgebern mit der Anrede „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ sowie in weiterer Ausprägung „Liebe Mitarbeitenden“; von Gewerkschaften „Metallerinnen und Metaller“ und „Liebe Jubilarin, lieber Jubilar“ statt „Liebe Jubilare“.³
Heute zeigt sich diese Ideologie in vorangeschrittener Wokeness bis in Kinderbuchverlage unter der Prämisse sogenannter geschlechtergerechter Sprache. Von Binnen-I, Gender-Sternchen, Paarbildung, Unterstrich bis Doppelpunkt findet sich alles, was die Leseunfreundlichkeit befördert. Und natürlich auch Streichungen und Neuschöpfungen. Das Wort „Neger“ soll nicht mehr verwendet werden, weil es wie „Schwarze“, „Indianer“ oder „Zigeuner“ als diskriminierend, abwertend und rassistisch (!) eingestuft wird. Restaurantbetreiber und Pommes-Buden haben daher gehorsamst das Zigeunerschnitzel aus ihrem Angebot genommen. Neger und Schwarze sind trotz ihrer Einfarbigkeit zu Farbigen (People of Colour) geworden, Indianer zu Indigenen. Zu den auf Büchermärkten nachgefragtesten Werken zählen längst gebrauchte Kinderbücher aus der Prä-Gender-Zeit.
Inzwischen weht der Wokeness und der sich als neue Klasse verstehenden „Zivilgesellschaft“ der Wind mächtig ins Gesicht. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gilt seit 2021 das Verbot, Genderzeichen in Schulen zu benutzen. Bewerber, die in ihren Anschreiben gendern, werden aussortiert und Verwaltungen, die partout gendern, mit Beschwerden überhäuft. Nur an den Hochschulen geht noch vorbei, dass Gendern wieder aus der Mode kommt. Dort heißt es immer noch „Studierendenbüro“, „Studierendenausschuss“ und „Studierendenparlament“. Besonders peinlich ist es, wenn selbst universitär untergebrachte Sprachabteilungen wie das Zentrum für Hochschulbildung an der TU Dortmund (zhb), das ausländischen Studienbewerbern die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang abnimmt (DSH), und Sprachschulen, die auf diese Prüfung vorbereiten, etwa Dr. Juno, sich des Genderns bedienen.
Folgen und Konsequenzen
Mehrere Rechtsschreibreformetappen, das G8, Inklusionsklassen, Schulklassen mit Migrantendominanz, Experimente wie Schreiben nach Gehör und die Ideologie des Neusprechs zeigen längst ihre negativen Folgen. Korrektes Deutsch sprechen nur noch Vertreter der Boomer-Generationen ab mittleren Bildungsniveaus, sich dem Gendern verweigern, und jene Glücklichen, die nicht Opfer dieser ideologischen Fehlgriffe geworden sind. Doch ein Großteil Jüngerer, der durch Reformen und Sprachexperimente gehen musste, findet sich nur schlecht zurecht, schreibt „ aus zu denken“ statt auszudenken oder „weg werfen“ statt wegwerfen, und wundert sich, weshalb es nicht einmal zu einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz reicht. Zehntausende Ausbildungsplätze bleiben durch mangelhaftes Deutsch, Leseverständnis und Dyskalkulie unbesetzt, wie eine aktuelle Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) ausweist. Viele Bewerber seien „mental zu schwach“, vulgo: zu blöd, für eine Ausbildung, heißt es liebevoll. Für Abiturienten mit Studiumsabsicht scheint es dagegen nicht so trüb auszusehen, nimmt man die allzu mitleidsvolle Benotung als Beispiel, die zwar Einserabis am Fließband zu produzieren hilft, aber mit zunehmend mental zu schwachen Bachalauretten aller Geschlechter die rohstoffarme Bundesrepublik nicht weiterbringt.
1 Welt Online, 20.11.2019
2 Birgit Kelle: Gender Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will. Adeo Verlag, Asslar, 2025
3 IG Metall-Vorstand (Hg.): Seit über 125 Jahren: Gemeinsam für soziale Gerechtigkeit. 7. Aufl., Frankfurt/Main, 2020
GEOWIS

