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Foto: Xiang Chen
DEUTSCHE SPRACHE

Zur Aussage gedrungen

Der richtige Gebrauch von starken und schwachen Verben, auch unter der Bezeichnung regelmäßig und unregelmäßig bekannt, ist nicht jedermanns Sache
Von ANETTE VON BARTHOLDY |
Lesedauer ca. 5-6 Minuten |
13.07.2012

Das Partizip Perfekt (Mittelwort), kurz: Perfekt, bereitet im Hinblick auf die korrekte Version eines Tätigkeitswortes (Verb) vielen Muttersprachlern häufig Probleme und sorgt nicht selten für Lacher oder Kopfschütteln, sobald es von Leuten, die die deutsche Sprache aufgrund ihrer beruflichen Stellung normalerweise beherrschen müssten, falsch angewendet wird. Da kommt Politikern schon mal über die Lippen, dass sie ihre Worte abgewogen haben (ohne mitzuteilen, wie viel sie wiegen), obwohl es doch abgewägt heißen muss. Das Partizip abgewogen entstammt dem Verb abwiegen; das Partizip abgewägt kommt von abwägen.

Probleme bereitet vielen Zeitgenossen auch das Verb hängen, auf-/abhängen, besonders, wenn es in einfacher Vergangenheitsform (Präteritum) oder im Perfekt (vollendete Gegenwart) benutzt wird. Häufig hört man, sie hing die Wäsche auf. Richtig ist: Sie hängte die Wäsche auf. Oder: Er hat seinen Anzug in den Schrank gehangen. Richtig ist: Er hat seinen Anzug in den Schrank gehängt. Oder: Das Bild hat an der Wand gehängt. Richtig ist: Das Bild hat an der Wand gehangen. Der unrichtige Gebrauch entsteht, wenn man sich nicht darüber im Klaren ist, dass das Verb hängen als schwaches, regelmäßiges existiert und als starkes, unregelmäßiges. Der richtige Gebrauch hängt dabei von den Dativ (D)- und Akkusativ (A)-Ergänzungen bzw. -Objekten ab.

A: hängen, regelmäßig (mit Akkusativobjekt): ich hänge, ich hängte, ich habe gehängt (Ich hängte das Bild an die Wand. Ich habe das Bild an die Wand gehängt. Fragewort: Wohin?).

D: hängen, unregelmäßig (mit Dativobjekt): ich hänge, ich hing, ich habe gehangen (Das Bild hing an der Wand. Das Bild hat an der Wand gehangen. Fragewort: Wo?).

Ähnliches gilt für das Verb erschrecken. Hier hängt die korrekte Anwendung in Präteritum und Perfekt deutlich von der Aussage ab. Will man jemandem einen Schrecken einjagen oder bekommt man selbst einen Schrecken?

A: erschrecken, regelmäßg (mit Akkusativobjekt): ich erschrecke, ich erschreckte, ich habe erschreckt (Mit seinem lauten Motorrad erschreckte er die Nachbarn. Mit seinem lauten Motorrad hat er die Nachbarn erschreckt. Fragewort: Wen?).

D: erschrecken, unregelmäßig (mit Dativobjekt): ich erschrecke, ich erschrak, ich bin erschrocken (Die Menschen erschraken bei der Explosion. Die Menschen sind bei der Explosion erschrocken. Fragewort: Wobei?). Wie ein Großteil der Verben, lässt sich erschrecken reflexiv gebrauchen (Ich habe mich erschrocken).

Mit einer Reihe von ähnlich lautenden, sich in ihrer Bedeutung ebenfalls unterscheidenden Verben gibt es auch immer wieder Anwendungsschwierigkeiten. Zum Beispiel mit setzen (A; regelmäßig) und sitzen (D; unregelmäßig), stellen (A; regelmäßig) und stehen (D; unregelmäßig); drängen (A; regelmäßig) und dringen (A; unregelmäßig), legen (A; regelmäßig) und liegen (D; unregelmäßig), senken (A; regelmäßig) und sinken (D; unregelmäßig), sprengen (A; regelmäßig) und springen (A; D; unregelmäßig), löschen (A; regelmäßig) und erlöschen (D; unregelmäßig).

A: Ich setze das Kind in den Kinderstuhl (setzte/habe gesetzt). D: Das Kind sitzt im Kinderstuhl (saß/hat gesessen).

A: Sie stellt die Vase auf den Tisch (stellte/hat gestellt). D: Die Vase steht auf dem Tisch (stand/hat gestanden).

A: Der Ermittler drängt den Ganoven zur Aussage (drängte/hat gedrängt). D: Der Ermittler dringt dem Ganoven ins Bewusstsein (drang/ist gedrungen).

A: Hans legt die Autoschlüssel in die Schublade (legte/hat gelegt). D: Die Autoschlüssel von Hans liegen in der Schublade (lagen/haben gelegen).

A: Der Blumenhändler senkt die Preise (senkte/hat gesenkt). D: Die Preise beim Blumenhändler sinken (sanken/sind gesunken).

A: Der Sprengmeister sprengt das Hochhaus (sprengte/hat gesprengt). D: Der Goldfisch springt aus dem Glas (sprang/ist gesprungen).

In den vorgenannten Beispielsätzen sind die Akkusativobjekte (das Kind, die Vase, den Ganoven, die Autoschlüssel, die Preise, das Hochhaus) direkt hinter dem jeweiligen Verb (setzen, stellen, drängen, legen, senken, sprengen, löschen) platziert. In den „A“-Sätzen werden aus den vorgenannten Akkusativobjekten Subjekte (Nominativ). In den „D“-Sätzen stehen direkt hinter den Verben (sitzen, stehen, dringen liegen, springen) Dativobjekte (im Kinderstuhl, auf dem Tisch, dem Ganoven, in der Schublade, aus dem Glas).

Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Verben ist schwach und wird regelmäßig konjugiert, der Vokal (Selbstlaut) der Stammform bleibt in Präteritum und Perfekt unverändert (ich lehre, lehrte, habe gelehrt). Das gilt ebenso für schwache Verben mit Doppellaut (ich feiere, feierte, habe gefeiert). Die regelmäßige Endung beim Perfekt schwacher Verben ist „t“ (gesetzt, gehabt, getobt).

Starke Verben werden unregelmäßig konjugiert, der Vokal der Stammform verändert sich in mindestens einer der Zeitformen Präteritum und Perfekt (ich fahre, fuhr, bin/habe gefahren). Bei Verben mit Doppellaut (Diphtong) verhält es sich unterschiedlich. Einige bilden im Präteritum einen Zwielaut in umgekehrter Anordnung und im Perfekt den gleichen wie im Präsens (ich heiße, hieß, habe geheißen); andere bilden in Präteritum und Perfekt den gleichen (ich reibe, rieb, habe gerieben). Die Endung bei starken Verben im Perfekt ist regelmäßig „en“ (gebraten, gelaufen, gewonnen).

Mischverben, von denen es nicht allzuviele gibt (z.B. wissen, denken, kennen, brennen), sind meist unregelmäßig, bilden aber das Perfekt mit „t“ (gewusst, gedacht, gekannt, gebrannt). Eine Besonderheit bildet die kleine Gruppe der Modalverben (dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen). Vier davon weichen von der Grundform (Infinitiv) ab und werden unregelmäßig konjugiert (ich darf, durfte, habe gedurft; ich kann, konnte, habe gekonnt; ich mag, mochte, habe gemocht; ich muss, musste, habe gemusst). Die Modalverben wollen und sollen werden regelmäßig konjugiert. Alle Modalverben haben im Perfekt die Endung „t“.

Quellen: Duden, Bd. 1, 2, 4, 9; Dreyer/Schmitt, Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik; Clamer/Heilmann, Deutsch als Fremdsprache, Übungsgrammatik für die Grundstufe

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