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Frontex-Mission Triton im Mittelmeer, 2016 | FRONTEX
SEENOTRETTUNG UND MIGRATION

Schuss vor den Bug

Das Bundesaußenministerium stellt die zweifelhafte finanzielle Förderung der umstrittenen privaten Seenotrettung ein; der Familiennachzug von subsidiär Geschützten wird für zwei Jahre ausgesetzt
THORSTEN RICHTER |
Lesedauer ca. 7-9 Minuten |
27.06.2025

Bundesaußenminister Wadephul hat angekündigt, die staatliche Unterstützung für die von Hilfsorganisationen durchgeführte private Seenotrettung nicht weiterzuführen. Kritiker dieser Beihilfe zum Schleppertum und zur illegalen Migration haben dies seit Jahren gefordert. In summa geht es im Vergleich zu den per-capita-Folgekosten für die meist nach Deutschland durchgereichten Geretteten zwar nicht um allzu hohe Beträge; es ist jedoch ein – wenn auch bescheidener – Schuss vor den Bug, der dazu beitragen könnte, dass sich restriktive Veränderungen in der deutschen und europäischen Migrationspolitik weiter herumsprechen. Dänemark, Schweden, Ungarn, Griechenland und einige andere Staaten, denen noch vor wenigen Jahren dazu die Weitsicht gefehlt hatte, sind dabei vorangegangen.

Anders als Italien, dessen Hoheitsgewässer und Inseln von der tunesischen und libyschen Küste am schnellsten zu erreichen sind. Unter seinem ehemaligen Innenminister Matteo Salvini griff der Stiefelstaat als erstes Land durch, als er kurz nach Amtsantritt im Juni 2018 der Aquarius, gechartert von der Organisation SOS Méditerranée, mit 629 Flüchtlingen an Bord die Anlandung in einem italienischen Hafen verwehrte. Zugelassen war das einstige Vermessungsschiff für maximal 500 Flüchtlinge. Auch Malta verweigerte sich. Schließlich erklärte sich Spaniens gerade gewählter sozialistischer Regierungschef Sánchez bereit, die Flüchtlinge im Hafen von Valencia aufzunehmen. Während ihres Einsatzes von 2016 bis 2018 nahm die Aquarius rund 30000 Flüchtlinge an Bord.

Im August 2019 hatte Salvini der Sea Watch 3 unter der Kapitänin Carola Rackete mit 150 Menschen an Bord das Festmachen im Hafen der Insel Lampedusa verwehrt. Ein von Rackete dagegengerichteter Eilantrag beim Europäischen Menschengerichtshof (EGMR) zur Erzwingung des Einlaufens wurde abgewiesen. Dennoch steuerte Rackete das Schiff in den Hafen und stieß dabei ein Patrouillenboot gegen die Pier. Die Sea Watch 3 wurde beschlagnahmt, die Kapitänin festgenommen und unter Hausarrest gestellt, der nach wenigen Tagen von einer sizilianischen Richterin aufgehoben wurde. Rackete reichte Verleumdungsklage gegen Salvini ein, die ins Leere lief. Ende 2024 wurde Salvini freigesprochen. Doch er verlor seine politische Reputation, zumindest vorübergehend, während Rackete im EU-Parlament untergekommen ist.

Im Parlament, genauer: im Bundestag, sitzt für die Grünen seit 2021 mit Julian Pahlke ein weiterer ehemaliger Seenotretter, der bis zu seinem Listenmandat für die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth tätig war, und versucht sich in allerlei Aktionen nützlich zu machen. Davor war er von 2016 bis 2020 als Seenotrettungsaktivist für Jugend rettet im Mittelmeer etwa auf der Iuventa unterwegs gewesen, die insgesamt zirka 14000 Flüchtlinge an Bord genommen haben soll. Das Schiff wurde im August 2017 von der italienischen Justiz beschlagnahmt und gegen Jugend rettet wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung und Zusammenarbeit mit Schlepperorganisatoren ermittelt. 

Frontex-Mission Triton im Mittelmeer, 2016 | FRONTEX

Im August 2023 berief Pahlke sich auf eine im rotgrüngelben Koalitionsvertrag vereinbarte Absichtserklärung, wonach es „eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung“ sei, „Menschen nicht ertrinken zu lassen.“ Weiter hieß es: „Wir streben eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer an.“ Dem wurde etwa durch die EU-Organisation Frontex unter deren niederländischem Exekutivdirektor Johannes Leijtens Folge geleistet, der 2022 die Nachfolge des Franzosen Fabrice Leggeri antrat. Er war nach Pushback-Vorwürfen zurückgetreten. Leijtens hingegen erklärte, unter seiner Leitung werde es keine Pushbacks geben, wozu auch die Rückschiffung an die nordafrikanische Küste gezählt werden kann. Nach internationaler Seenotrettungsvereinbarung ist der nächstgelegene Hafen anzulaufen. Allein 2022 habe Frontex im Rahmen seines „Search and Rescue“-Konzepts 53000 Menschen im Mittelmeer eingesammelt, wie die Organisation auf ihrer Webseite schreibt.

Seitdem Annalena Baerbock als Schutzheilige aller Flüchtlinge ab September 2021 das Außenministerium bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Februar 2025 begrünt und die finanzielle Unterstützung für die private Seenotrettung aufgestockt hatte, verdoppelten sich die Migrationszahlen über das Mittelmeer beinahe jährlich. Ende 2023 waren es zirka 150000. Auch Unterstützung vor Ort an Land sollte es aus deutscher Schatulle geben, weshalb die italienische Regierung die deutsche harsch anging. Regierungschefin Giorgia Meloni bezeichnete Baerbocks Vorhaben als „schwere Anomalie“ im EU-staatlichen Miteinander.

Tangiert hat das weder Baerbock noch die Nutznießer. Die seit 2015 im Mittelmeer präsenten selbsternannten und selbstbeauftragten Seenotretter von United4Rescue, Sea-Eye, Sea-Watch und SOS Humanity nahmen zu ihrem zehnjährigen Wirken jüngst auf einer gemeinsamen Pressekonferenz für sich in Anspruch, bis April 2025 an der Rettung von 175595 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Allein United4Rescue könne dabei auf „fast 1000 Mitgliedsorganisationen“ zählen. Europäischen Staaten und Behörden werfen sie „Schikane“ und „Missachtung internationalen Rechts“ vor. Ihre Agitprop wird dabei seit Jahren von Mitleid evozierenden Bildern begleitet.

Von der Bundesregierung fordern sie „ein klares Bekenntnis zur Seenotrettung als humanitäre und rechtliche Pflicht. Deutschland soll sich in der EU für ein staatlich koordiniertes, voll finanziertes Rettungsprogramm im Mittelmeer einsetzen“ und die „Kooperation mit autoritären Regimen wie Tunesien und Libyen im Bereich Grenzschutz“ müsse beendet werden. Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen hält im Mittelmeer Ausschau nach sich in Seenot befindenden Menschen. Sie verzeichnet bis Ende 2024 bei 878 Einsätzen seit 2015 die Rettung von 94215. Neben weiteren französischen tummeln sich auch spanische Seenotretter in der Nähe der nordafrikanischen Küste, dazu auch im Atlantik auf den Routen zu den Kanarischen Inseln. 

Irrfahrt der Aquarius vom 8.-17. Juni 2018 nach Valencia | CC0

Weit mehr als eine halbe Million afrikanischer Boat People sind über die Hauptrouten in europäischen Häfen angelandet worden. Zählungen und Schätzungen zufolge sind im gleichen Zeitraum 30.-40000 ertrunken oder anderweitig auf See zu Tode gekommen. Genau weiß das wohl niemand außer den Schleppern, wenn diese Listen zu den Ausgesetzten geführt haben sollten. Dabei ist die Gleichung einfach. Weniger finanzielle Mittel führen auf Sicht zu weniger Rettungsfahrten vor der nordafrikanischen Küste, was wiederum rückläufige selbst herbeigeführte Seenöte nach sich zöge sowie das Geschäftsprinzip von Schleppern und deren „zivilgesellschaftlicher“ Helferindustrie zumindest beeinträchtigte.

Angesichts des lukrativen Geschäfts werden die Schlepper versuchen, andere Wege zu finden. Zugutekommen wird ihnen dabei die ideologische Persistenz der Hilfsorganisationen, solange die Finanzierungslücken durch andere mit öffentlichen Geldern geförderte Organisationen ausgeglichen werden können. Da jeder in Deutschland angekommene Flüchtling in den ersten Jahren mit 35.-80000 Euro an Steuermitteln und sozialen Leistungen per annum zu Buche schlägt, ist die Beendigung der staatlichen Förderpraxis zur privaten Seenotrettung und fehlgeleiteten Empathie allerdings nur ein kleiner Schritt im moralgeprägten Sumpf der illegalen Migration.

Ein weiterer, ebenfalls nicht großer Gang nach vorne ist die heute vom Bundestag beschlossene zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs von subsidiär Schutzberechtigten. Darunter fallen Migranten, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Bislang war der Nachzug von Familienangehörigen bereits auf 12000 pro Jahr begrenzt worden. Mit der Aussetzung verspricht man sich beispielsweise, dass die Anzahl junger männlicher Einzelreisender, sogenannten Ankerkindern, zurückgeht. Zahlen des Statistischen Bundesamts und des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) belegen, dass viele unbegleitete Jugendliche und insgesamt ein Übergewicht an Asyl begehrenden jungen Männern ohne Familie vorzugsweise nach Deutschland eingereist sind. Rund 380000 waren es bis Ende 2024.

Gleichwohl hofft man auf eine Entlastung der Kommunen, die die Integration zu schultern haben, doch ohne an anderer Stelle zu sparen oder „Sondervermögen“ anzuhäufen schon länger nicht mehr dazu in der Lage sind. Es mangelt dabei nicht nur an Wohnraum. Arztpraxen, Ambulanzen und Notaufnahmen von Krankenhäusern sowie Bürgerdienste und Gerichte stoßen zum Verdruß derer, die das alles mitfinanzieren, an ihre Kapazitätsgrenzen oder haben sie bereits überschritten. Grund- und Hauptschulen weisen eine Dominanz von Migrantennachwuchs aus und nivellieren zunehmend das sich mindestens seit zehn Jahren im Sinkflug befindende Bildungsniveau. Die Aussetzung wird an der Situation mittelfristig nur marginal etwas ändern können. Innenminister Alexander Dobrindt will mit dieser Maßnahme aber auch Schleppern begegnen, wie er es sich von Zurückweisungen an der Binnengrenze und verschärften Kontrollen auch schon verspricht. „Wir zerschlagen ein Geschäftsmodell der kriminellen Banden”, äußerte er heute. So ähnlich hatte sich sein nordrhein-westfälischer Unionskollege Herbert Reul vor geraumer Zeit ebenfalls geäußert. Geschehen ist wenig.

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