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"Generation Gummistiefel" beim Päuschen auf Sperrmüll (in Passau)
HOCHWASSER

Hochwasser in Deutschland: Jugend hilft

Noch nie war die Hilfsbereitschaft junger Leute bei Naturkatastrophen in Deutschland so groß wie in diesen Tagen
Von TOM GEDDIS |
Lesedauer ca. 4-5 Minuten |
10.06.2013

Die Mitteldeutsche Zeitung nennt sie die „Generation Gummistiefel“. Schüler, Auszubildende, Studenten und erwerbslose junge Menschen helfen den vom Hochwasser Bedrohten und Geschädigten in nie dagewesener Weise und verblüffen damit die älteren Generationen. Sie füllen und schleppen Sandsäcke, bewachen Deiche, gehen in die zerstörten Haushalte, um bei der Entsorgung von Hausrat und der Beseitigung von abgelagertem Schlamm zu helfen. Sie betreuen ältere Menschen in Notunterkünften, bringen Verpflegung zu anderen Helfern und erweisen sich als findig im Organisieren von Hilfs- und Sachmitteln. Als gälte das Motto Schuften bis der Arzt kommt, räumen sie Treibgut auf Laster, säubern Parks, waschen Pflanzen und setzen sie um, und sind dabei so fröhlich, als wären sie in den Vorbereitungen für Rockkonzerte, zu denen ihnen kostenloser Eintritt in Aussicht gestellt würde.

Erstmals erweisen sich Social Networks, allen voran Facebook, als sinnvolle wie praktikable soziale Internet- Einrichtung. In Passau haben die jungen Leute beispielsweise die Fb-Seite Passau Hochwasser 2013 (mit Fotoalbum Passau räumt auf) eingerichtet, die 11380 Likes (Stand: 10.06.2013, 12 Uhr) und reichlich Unterstützer aufweist. Neben wertvollen Informationen wie „Stadtwerke Passau bieten kostenlosen Bustransfer für Helfer an – Einfach einsteigen!“ und „Bauhaus gewährt 20% Rabatt für Hochwassergeschädigte“, gibt es jede Menge Posts zu Sachspenden. Gefriertruhe, Esstisch, Wohnwand, Kleiderschrank, ja ganze Wohnungseinrichtungen werden verschenkt und auf Wunsch kostenlos angeliefert.

Packt im wahrsten Sinne des Wortes mit an: Helferin in Passau

Längst hat die Fb-Seite regionalen Charakter angenommen. Fb-User Norbert Bauer aus Deggendorf verschenkt seinen Polo II und nimmt ihn, falls er kaputt gehe, sogar wieder zurück. Der Arbeitskreis Vilshofener Asylbewerber packt mit an. Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper ist „völlig überwältigt von der nie geahnten Solidarität und dem engen Schulterschluss der Menschen in unserer Stadt“. Auffällig viele junge Frauen erweisen sich als extrem tatkräftig und zeigen, dass sie mit Spaten und Schaufel genauso sicher umgehen können wie mit zu schleppenden Sandsäcken – und schaffen es dabei noch, adrett zu wirken, obwohl sie in vollgelaufenen Gummistiefeln, verschmutzten Jeans, Shorts und T-Shirt stecken. In vielen Fb-Posts würdigen das die Jungs teils ungeahnt unschlüpfrig. Häufig haben die jungen Frauen gegenüber ihren männlichen Pendants sogar einen besseren Blick dafür, was vom Hausrat noch zu gebrauchen ist.

„Besser als Fitness-Studio“, postet Userin Hanna-Laura Noack; „Jungs, bringt mir eure Klamotten zum Waschen“, bietet Userin Christina Clemens an; „Ihr seid’s da Wahnsinn …“ schreibt Helmut Riegg; „(Nächsten)liebe besiegt alles“, postet Evi English, und Barbara Maschmann aus Schleswig-Holstein drückt ihre Zuversicht im Hinblick auf die Jugend mit den Worten aus: „Dann ist Deutschland noch nicht verloren.“ Die Eltern- und Großelterngeneration ist beeindruckt von der Solidarität der jungen Leute. Sie zollt ihnen Respekt, dankt ihnen, betet für sie. Gabi Keith schreibt in ihrem Leserbrief in der Passauer Neuen Presse (Auszug). „Es ist mir ein besonderes Anliegen, mich bei unseren von uns so vielgescholtenen Studenten zu bedanken. Wo man hinschaut im hochwasserzerstörten Passau, sieht man die jungen Leute (…).“

„Wacker!“ und „Chapeau!“ lauten manche Posts auf Facebook für die Hilfsbereitschaft junger Leute (hier: in Passau)

Tatsächlich ist das, was die jungen zivilen Helfer leisten, unbezahlbar. Obwohl für Auszubildende Prüfungen anstehen, Studenten und Schüler sich auf Klausuren vorbereiten müssten, sind sie in allen Hochwasserregionen am Start und demonstrieren so der deutschen Öffentlichkeit, dass sie nicht nur Party machen oder chillen können. Womöglich werden sie am Ende dieses Jahres in irgendeiner dieser Jahresrückblicksendungen für ihre Einsätze gewürdigt. Besser wäre es, wenn sich der Bundespräsident schon jetzt einen Nachtragshaushalt genehmigen ließe, um all die redlich verdienten Bundesverdienstkreuze fertigen zu lassen, die den jungen Helfern verliehen werden müssten.

Foto-Quelle, wenn nicht anders gekennzeichnet: Facebook-Seite Passau Hochwasser 2013, Album Passau räumt auf; Richard Maximilian Friedrich Schaffner

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