Klaus Schwab, der im letzten Jahr vom Vorsitz abgetretene 86jährige Gründer des Weltwirtschaftsforms (World Economic Forum, WEF) in Davos, hatte wohl keinen solchen Auftritt des argentinischen Präsidenten Javier Milei erwartet. Wie wohl die meisten Anwesenden Mileis Klartextrede nicht erwartet haben dürften. Von Donald Trump schon eher, schließlich war man vorgewarnt. Doch Milei trat angriffslustiger auf. Er war mit seiner bislang erfolgreichen Bekämpfung der Inflation, die laut Regierungsangaben von 111 auf 40 Prozent zurückgegangen sei, und einem Haushaltsüberschuss von 29 Milliarden US-Dollar im letzten Trimestral mit breiter Brust nicht nach Davos gekommen, um Dinge schönzureden. Nachdem er kurz auf seine Erfolge hingewiesen hatte, etwa dass Argentinien „zu lange vom Sozialismus infiziert“ gewesen sei, pries er sich und seine Regierung, die „die Ideen der Freiheit umarmt“ habe. Nur durch „fiskalische Verantwortung“ und eine „neue Art von Politik“, die er als „globales Beispiel“ verstanden wissen wollte, sei dies gelungen. Man müsse den Menschen „die Wahrheit direkt ins Gesicht sagen und darauf vertrauen, dass sie sie verstehen.“

Dann zählte er auf, woran der Westen kranke. Das „mentale Virus des Wokeismus“ sei die „große Epidemie unserer Zeit“, ein „Krebs, den wir loswerden müssen.“ Er verurteilte den Sozialismus, der „immer und überall zu Armut“ führe und „überall gescheitert“ sei. Die von den regierenden und entscheidenden Eliten verfolgte Agenda 2030, derzufolge frei nach George Orwells Roman 1984 „der Einzelne wenig besitzt, aber glücklich ist“, kanzelte er ab und stellte ihr die freie Marktwirtschaft und den Kapitalismus als Lösung entgegen. Das nicht mehr ganz so neue Modell des möglichst staatsfernen Wirtschaftssystems kommt nicht ohne darwinistische Grundlage aus. Es hat gegenüber staatlich gelenkten und staatsinterventionistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen zwar durchaus den Vorteil, dass Unternehmer, Freie Berufe, Handwerker und Gewerbebetriebe auf weniger Regulierung und bürokratische Hindernisse treffen, aber ohne soziale Leitplanken kaum der Weisheit letzter Schluss sein dürfte.
Ebenfalls zur Disposition stellte er „Feminismus, Diversität, Inklusion, Gleichheit, Immigration, Abtreibung, Umweltismus, Gender-Ideologie“, die „verschiedene Köpfe derselben Hydra“ seien. So ziemlich sämtliche Bereiche ideologiegeleiteter oder partikularer Interessen lehnte er ab, etwa die „Hormonbehandlungen gesunder Kinder“, sowie den Wokeismus insgesamt. Er sehe den Staat nicht als „Lösung“, sondern als „Problem“, die „politische Klasse“ hält er für „Parasiten.“ Unter seiner Regierung reduzierte er die vorgefundenen 22 Ministerien auf sieben und ist erfolgreich im Kampf gegen Korruption zwischen Unternehmertum und Politik. Die zwar überraschte, vielleicht auch beeindruckte Mehrheit des Publikums war von Mileis Auftritt nicht begeistert. Andernorts, in Zürich, wurde er Tage später vom Liberalen Institut mit dem Röpke-Preis für seine Wirtschaftspolitik geehrt.

Milei hatte sich den ungewöhnlich offenen Rundumschlag auf der vielbeachteten internationalen Bühne in Davos leisten können, wähnt er aus dem westlichen Block doch Donald Trump, Georgia Meloni (Italien), Victor Orban (Ungarn) und noch nicht auf Woke-Kurs umgeschwenkte Unternehmen an seiner Seite. Im Gegensatz zum brasilianischen Ordem e Progreso (Ordnung und Fortschritt) tritt er für „Freiheit und Fortschritt“ ein. Mit dem zwar bereits unterzeichneten, aber noch nicht ratifizierten Beitrittsvertrag zur Freihandelszone Mercosur besitzt er zudem ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel gegenüber den Eurozentristen, die ihre Rinder-Filets gerne etwas günstiger hätten, so sie keine Veganer sind. Milei wird abwarten und abwägen, wie sich die USA verhalten.

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