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PORTRAIT | MATD

„Lieber Künstlerin als Popstar“

Vor einem halben Jahr hatte sie ein paar Auftritte in eher kleinen Klubs in Deutschland. Längst aber füllt Marina & The Diamonds große Hallen. Bald auch in Tasmanien
Von LUZILLA BRECHT |
Lesedauer ca. 6-7 Minuten |
10.12.2010

Diejenigen, die sie im Juni 2010 in Köln, Hamburg, München oder Berlin live erlebt haben, können sich freuen, denn sie haben eine der größten Entdeckungen weiblicher Indy-Popstars erlebt, die in den letzten Jahren von der britischen Insel auszogen, um die Musikwelt zu erobern: Marina & The Diamonds. Ihren Erfolg habe sie sich hart erarbeitet, sagt Marina Lambrini Diamandis (25) im Interview mit BBC-Reporter Mark Savage. Eigentlich habe sie manchmal nicht so genau gewusst, wie ihre Songs entstünden. Sie habe ein paar Tasten gedrückt, sei ihrer Intuition und ihrem Gespür gefolgt und habe Lyrics verfasst. Sie verstehe sich als Feministin und wolle eine Popkünstlerin sein, kein Popstar, erzählte sie in einem Interview mit pa.press.net, und sie wolle nichts erschaffen, was es bereits gab. Experimentelle Popmusik sei ihr Ding. Sie sei höchst kreativ und detailversessen.

Das ist ein hehrer Anspruch, an dem schon manche Künstler gescheitert sind, und so ganz abnabeln von dem was war oder ist, kann sich heute kaum noch ein musikalischer Künstler. Umso mehr überrascht Marina Diamandis mit ihren Diamonds, die – anders als die doch eher auf totale Pop-Diva machende Lady Gaga – eine andere Richtung einschlägt und auf den ersten Blick nicht nach selbstbezogenem Ego Girl ausschaut. Das beginnt schon mit der Namensgebung, die an die Fifties und Sixties erinnert, als der Frontmann/die Frontfrau vor der Band genannt wurde. In den 1980ern gab es für kurze Zeit so etwas, als die Band Katrina & The Waves aufkam. Marina & The Diamonds (MATD) aber ist von ihrem Nachnamen abgeleitet, so gesehen ein Soloprojekt. Doch Diamandis bezieht ihre Band mit ein, auch wenn hier bereits ein Austausch der Mitglieder stattgefunden hat.

Es geht weiter mit dem, was sie musikalisch zu bieten hat. Sie hat Stimme, und zwar eine bis ins Mark durchdringende, die im Spektrum zwischen Kate Bush, Lene Lovich und der frühen Nina Hagen verortet werden kann. Den Vergleich mit Kate Bush mag Diamandis nicht besonders, indes liegt er nahe, zumal was die hohen Töne angeht. Auch ihre stimmliche Variabilität in Synchronisation mit Diamandis‘ Auftreten in Videos erinnert in bemerkenswerter Weise an die Bush der 1980er, transferiert in die 2010er. Mühelos kann Diamandis ihre Songs a-capella klar vortragen, wie sie es in den vergangenen zwei Jahren häufig in Fernseh-Shows unter Beweis gestellt hat, und ihrem Publikum dabei einen Gefühlseffekt bebringen, der sich dem der Stimulanz des sagenumwobenen G-Punkts nähert. Vor allem, wenn sie ihre Stücke Rootless, Numb oder I Am Not A Robot (4,4 millionenmal bei Youtube aufgerufen) vorträgt. Zumindest sorgen manche Songs bei ihren Fans für Gänsehautgefühl.

Sie kommt ohne Nina Hagens gerolltes R aus, dass diese zu Anfang ihrer Karriere noch gar nicht so ausgeprägt hatte wie heute. Aber ihre nicht ins Übliche passende Performance der 2010er – mal hyperaktiv, mal still, mal märchenhaft – hat Näherungscharakter zur schrillen und in Deutschland enorm wegweisend gewesenen Hagen. Diamandis gibt in Interwies gerne einige Vorbilder an, darunter Madonna. Es muss Ironie sein, denn mit Madonna hat das musikalische Gesamtkunstwerk Marina & The Diamonds absolut nichts zu tun. Vielmehr mit ihrer Landsfrau Lene Lovich, die Ende der 1970er mit ihrem Album Stateless und ihrem Hit Home Is Where The Heart Is oder Lucky Number in der internationalen Musikszene Aufmerksamkeit erregte. Viele von Marina & The Diamonds ausnahmslos brillanten Songs erinnern an Lovichs Art. So ihr erster Hit Hollywood, der rund 6,6 millionenmal bei Youtube aufgerufen wurde; oder Mowgli’s Road (2,3 millionenmal); Oh No! (zweimillionenmal). Simplify und What You Waiting For?, Hermit The Frog, The Outsider sind weitere. In den vergangenen gut zwei Jahren sind ihre Songs mächtig eingeschlagen. Nicht nur die, die in den Radiostationen gespielt werden.

Deutliche Bühnenpräsenz: Marina & The Diamonds | Luke Yates

Zehn Jahre habe sie von einer Karriere als Musikerin geträumt und fünf Jahre habe sie hart dafür gearbeitet, ihren Traum verwirklichen zu können, sagt sie. Längst lebt sie ihren Traum und scheint eine feste Band gefunden zu haben, zu der sich bei Studioaufnahmen noch Streicherinnen gesellen. Die BBC hatte – wie so oft – einen richtigen Riecher hinsichtlich Talenten und nahm mit der Band schon früh eine Radio Session auf, zu der auch Violinistinnen und eine Cellistin hinzugezogen wurden. Vermutlich hätte auch der legendäre, 2004 in Peru verstorbene BBC-Radio-DeeJay John Peel die Band vorgestellt. Dass dessen Nachfolger in seinem Sinne agieren, kann gar nicht hoch genug bewertet werden.

Mit fünfzehn Jahren habe Diamandis gewusst, dass sie Sängerin werden wolle, sagte sie der Webseite BBC Wales Music. Drei Jahre später zog sie vom ländlichen Abergavenny nach London, schrieb sich mehrfach an Unis ein und aus, machte eine kurze Tanzausbildung, nahm ein Jahr lang Gesangsunterricht und bekam Engagements als Sängerin im Theaterstück Der König der Löwen. 2007 begann Diamandis – walisisch-griechischer Abstammung mit offenbarer Distanz zu ihrem griechischen Vater, dem einige ihrer nicht ganz eindeutigen Lyrics mit nicht allzu freundlicher Absicht gewidmet sind – mit ihrem „Avantgarde spiky Pop“, wie BBC Wales Music ihren Stil nennt, auszuprobieren, was sich mit Apples Musik-Software GarageBand anstellen lässt. Sie produzierte auf überwiegend eigene Kosten ihre erste EP mit dem Titel Mermaid vs. Sailor, die sich aber kaum verkaufte.

Erst ein Talentsucher des Labels Neon Gold Records beförderte ihre Karriere, indem er sie ins Vorprogramm für den australischen Sänger Goyte nahm. Dort entdeckte das Warner Bros.-Label Warner Music sie und gab ihr einen Plattenvertrag fürs Konzern-Label 679 Recordings. Ihre erste Single kam als Doppel-A 2008 mit den Stücken Obsessions und Mowgli’s Road heraus. Im Juni 2009 veröffentlichte sie unter dem Titel The Crown Jewels ihre zweite EP – zunächst exklusiv auf iTunes, dann als Hardware – auf der ihr inzwischen auch in Deutschland zum Hit herangewachsenes, 2008 als Single erschienenes Stück I Am Not A Robot enthalten ist.

Extra für den US-Markt koppelte sie dann im Februar 2010 von ihrem in Europa unter dem Titel The Family Jewels erschienenen Album (auch als LP erhältlich) eine EP mit dem Titel American Jewels aus und ging auf Tour nach den USA, Europa, Japan. Seit dem Frühjahr 2010 hat sie ihren ersten globalen Hit, Hollywood. Doch eines der Schlüsselstücke dürfte I Am Not A Robot sein. „Guess what? I Am Not A Robot“, was so viel heißt wie ‚Weißt du was? Ich bin kein Roboter‘, unterstreicht sie im Refrain. Das lässt tief blicken und stellt heraus, dass Marina Diamandis durch die harte, nicht nur die von Gigs in Klubs und Hotels geprägte Performance-Schule gegangen ist und womöglich einmal sehr verletzt wurde. Mädels spüren das.

Wahre Künstler nehmen alles inkauf. Wichtig ist ihnen nur, dass sie als solche anerkannt werden. Wenn sich dann auch noch der Erfolg zu ihnen gesellt, ist das zwar schön fürs Konto, schöner und beglückender aber dürfte die Anerkennung und Akzeptanz sein. Klar ist: eine Stimme wie die von Diamandis konnte gar nicht überhört werden. Wahrscheinlich ging die Waliserin davon aus, dass irgendwann eine Plattenfirma auf sie aufmerksam würde. Ihr Label-jumping lässt dies vermuten. Offenbar hat sie – gut beraten – zu Beginn ihrer Karriere keine langfristigen Verträge unterschrieben, denn seit einigen Monaten ist sie bei dem zu Atlantic Records gehörenden Label Chop Shop unter Vertrag.

Seit nunmehr anderthalb Jahren gilt Marina & the Diamonds als das Heißeste, was im Bereich anspruchsvoller Popmusik von der Insel aufgebrochen ist, die Welt zu beschallen. Wikipediaseiten in zwölf Sprachen sind ihr bereits gewidmet. Ihr Album The Family Jewels enthält kaum ein Stück, das nicht zum Hit taugte. Ein ähnlich formvollendetes Indy-Pop-Album hat in jüngerer Zeit auch die etwa gleichaltrige Dänin Aura Dione mit Columbine hingelegt. Für Marina & The Diamonds, der Frau mit der klaren Stimme und der sich darin verbergenden, gezielt eingesetzten Virtuosität – mal Rock- und Popröhre, mal Grand Opera-Style – geht es bald wieder auf Tour. Im Januar und Februar 2011 nach Nordamerika. Zuerst aber, Ende Dezember 2010, nach Ozeanien. Dort, in Australien und Tasmanien, lechzen ihre Fans ihr bereits entgegen. Danach wird es Zeit, dass sie erneut nach Deutschland kommt.

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