Die Deutsche Arbeitsschutzausstellung (DASA) in Dortmund, Deutschlands größte Dauereinrichtung zum Thema Arbeit, Arbeitssicherheit und -schutz mit jährlich rund 150.-200000 Besuchern, hat viel zu bieten. Von den Anfängen der Büroarbeitsplätze bis zum Flugsimulator, von Heidelberger Tiegel-Druckmaschinen bis zu Fotosatzgeräten und Personal-Computern lässt sich ein Kaleidoskop an technischen Entwicklungen nebst dazugehöriger Arbeitsplätze bestaunen. Neben einem Hochofen auch die Steuerungsanlage eines E-Werks. Im 19. Jahrhundert hatte die Arbeiterklasse ebensowenig eine Vorstellung von der künftigen Entwicklung wie die heutige. Jules Verne hatte Utopien, wie auch H. G. Wells, dessen 1930 erschienenes Werk The Shape of Things to Come im Rückblick fast ein wenig seherisch wirkt. Man weiß nie, was kommt. Tatsache ist, dass immer etwas kommt, und das oft genug anders als man sich es vielleicht vorgestellt hat.

Mike Zero, bürgerlich Michael Köhn, ist es mit dem zweiten Album ähnlich ergangen. „Die Dinge haben sich entwickelt, Song für Song“, wie er sagt. Er kennt H. G. Wells‘ Roman und – klar – auch das von Barry Mann und Cynthia Weil geschriebene, 1968 von Max Frost and the Troopers als Single herausgebrachte gleichnamige Stück. Manche Dinge entwickeln sich zum Guten. Das trifft auf Zeros Album The Shape Of Things To Come ausnahmslos zu. Es ist kerniger Rock mit ein wenig verbliebenem Hang zu teils griffigem Punk, der sich hören lassen kann. Ehrliche Musik, die sauber von Siggi Bemm (Woodhouse Studios, Hagen) produziert wurde und bestens geeignet ist, die Hallen zu rocken. Zwölf eigene Stücke und eine Cover-Version des Multi-Coloured-Shades-Stücks Teen Sex Transfusion – „eine Hommage an Pete Barany, den ich gut kannte“, so Zero – weist das neue Album auf. Eingespielt mit seiner Band The Riot Ensemble und einer Reihe von Gastmusikern, darunter Texas Terri, ragen aus diesem genrebezogenen, homogenen Album heraus, das auch als Vinyl erhältlich ist, die Stücke Tightrope Walk, Big City Angels, Let It Go und Follow Me.
Seit rund fünfzehn Jahren macht Köhn Musik. Ende der 1990er Jahre geht er von Dortmund nach Hamburg, wo er auf Jürgen Engler trifft, Mitbegründer von Die Krupps und zuvor Male. Engler habe noch einen Bassisten für sein Band-Projekt Dkay.com gebraucht. Für die „Audition“ bei Engler habe er dessen gesamtes Repertoire einstudiert. „Ich wusste ja nicht, welche Stücke ich vorzutragen hätte. Nach drei Songs war ich engagiert.“ Danach sei man auf Tour mit Genitortures, Last Rites und Gary Numan (Are Friends Electric?) gegangen. „Wir waren nicht etwa Support für Gary, sondern als Package gebucht“, so Zero. Nach drei Jahren Touren und Studio nahm er sich eine Auszeit und machte eine Ausbildung zum Mediengestalter. „Ich hatte anfangs ziemliche Umstellungsprobleme, aber am Ende war es zur richtigen Zeit genau das Richtige für mich.“

Nach der Ausbildung arbeitete er unter anderem für Vincent TV, der Produktionsfirma von Sandra Maischberger, als Musikredakteur. 2004 zog es ihn zurück in seine Heimatstadt. „Ich fühle mich hier geerdeter als anderswo“, so Zero. Er heuerte beim Stadttheater Dortmund als Tontechniker an. Zwei Jahre später bot sich ihm die Chance, das Rock Café zu übernehmen, eines der Urgesteine in der Dortmunder Musikkneipenszene, das über viele Jahre die Stammkneipe des lokalen Motorradklubs Ghost Riders (heute: Bandidos) war. Das Ambiente veränderte Köhn kaum, doch das Publikum veränderte sich. Weniger Motorradklubmitglieder, mehr Studenten – und mehrfach Live-Auftritte von Bands.
Zu jener Zeit formte sich Köhns Soloprojekt noch nicht. Erste Songs entstanden 2007. Drummer Jens Küchenthal, Bassist Chris van Helsing (früher bei Phillip Boa & The Voodoo Club und DKay.com) und die Sängerinnen Daria Teuber und Sarah Lisa Middeldorf stießen hinzu. 2008 kam Zeroism heraus, ein viel beachtetes Punk-Album mit Hang zum Rock. Begleitet wurde das von Siggi Bemm produzierte Album von interessanten Videos, die kleine Geschichten erzählen. Die Band ging auf Tour und hat vor allem in Berlin ein veritables Standing. Dort lernte Zero die US-amerikanische Künstlerin Terri Laird kennen, die unter ihrem Künstlernamen Texas Terri vor allem in den USA einem breiteren (Punkrock-)Publikum bekannt ist und in einer Nebenrolle in Joel Schumachers Thriller 8 mm auftrat. „Terri war begeistert von unserem Sound“, sagt Zero. Für The Shape Of Things To Come steuert Texas Terri zu sechs Songs (Like I Do, Pain Reliever, Supergod, Timebomb, Why? Says Who?, The First Time) Backing Vocals bei. „Sie war es auch, die uns empfahl, ein Tambourine mit ins Instrumentarium aufzunehmen“, so Zero. „Eine wunderbare Idee, von der Siggi Bemm anfangs gar nicht begeistert schien, dann aber voll dabei war.“

Chris van Helsing, Gitarrist Danny Zaremba und Drummer Jens Küchenthal gehören inzwischen zum festen Bestandteil von Mike Zero. Für das zweite Album waren auch Daria Teuber und Sarah Lisa Middeldorf wieder mit ihren Backing Vocals dabei. Captain Poon, Gründungsmitglied der 2005 aufgelösten Osloer Band Gluecifer, ist als Gast-Gitarrist auf sechs Stücken zu hören, etwa auf dem hitverdächtigen Big City Angels. Das hierzu unter der Regie von Patrick Ubachs und der Kamera von Daniel Hacker gedrehte Video, zu sehen auf der Webseite der Band und auf Youtube, steht dem Song in nichts nach. „Your show is not German“, habe Texas Terri gesagt und Mike Zero damit gewissermaßen ein professionelles Gütesiegel verpasst. „Wir machen ja nicht einfach nur einen Gig“, sagt der Dortmunder. „Wir liefern eine echte Show ab und das rockt.“
Mit The Shape Of Things To Come ist bei Mike Zero in zweierlei Hinsicht eine Verwandlung eingetreten. Ist das erste Album noch deutlich im Punkrock zu verorten, ist beim zweiten die Hinwendung zu klarem, teils schnellem Rock festzustellen. Und trat Zero zuvor noch mit schwarzer Punkfrisur, schwarz umrandeten Augen, Hundehalsband und anderen Punk-Utensilien auf, so hat die Band nun in den – schwarzen – Zweiteiler mit entsprechender Krawatte gefunden. Er wolle sich nicht festlegen lassen, sagt Zero. Musikalische Wandlungsfähigkeit sei für Solokünstler oder Soloprojekte eher von Vorteil. „Für eine Band sind Genre- und Outfit-Wechsel schwierig. Die kann sich nicht mal eben neu erfinden. Für Mike Zero ist das einfacher.“

Der Arbeiterschaft sei er sehr verbunden, woraus sich erklärt, weshalb die Foto-shootings zum Album in der DASA stattgefunden haben. Dort laufe vieles zusammen, was das Ruhrgebiet ausmache, so Zero. Man könne förmlich fühlen, unter welchen Bedingungen im Lauf der Zeit gearbeitet werden musste. „Das ist pur. Wie auch Rockmusik pur ist.“ Am vergangenen Sonntag war erste die Record Release Show fürs neue Album im Berliner Klub Wild at Heart im Ortsteil Kreuzberg. Am Samstag, 18.12., ist eine zweite Show in der Dortmunder Hafenliebe. Showtime ist um 20.00 Uhr mit Tony Gorilla. Dann kommt Mike Zero.
Michael Köhn verstarb am 26. November 2018 im Alter von 47 Jahren. Er hinterließ Frau und zwei Kinder.

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