Skip to content
Julian Assange | WikiLeaks
WIKILEAKS

USA versus Assange

Wie sehr die USA und andere Nationen Julian Assange und WikiLeaks inzwischen fürchten, zeigt sich bisher am Kampf, den sie gegen die einzige weltbekannte Enthüllungsplattform führen
Von NINA BRENTHÄUSER |
Lesedauer ca. 10 Minuten |
04.12.2010

Es waren lange recht komfortable Zeiten für die als Kriegsherr und Kriegstreiber Nummer eins in die bisherige Nachkriegsgeschichte eingegangenen USA. Überall dort, wo ein Hauch von sozialistischer Staatsform aufkommen wollte, versuchten die neben der Sowjetunion als radikale Großmacht auftretenden USA Einfluss zu nehmen, indem sie Diktaturen stützten, Paramilitärs ausbildeten, Kriege anzettelten oder an ihnen teilnahmen. So in Lateinamerika seit den 1950er Jahren bis in die heutige Zeit; in Korea; in Vietnam; in Afrika. Beinahe auf jedem Kontinent waren und sind die vom US-amerikanischen militärisch-industriellen Komplex losgeschickten Truppen unterwegs, um vordergründig die betroffenen Völker zu befreien und ihnen die Demokratie beizubringen oder überzustülpen, in Wahrheit aber, vor allem in neuerer Zeit, um Claims abzustecken, damit der American Way of Life aufrechterhalten werden kann.

Es waren auch komfortable Zeiten für die USA, solange sie die Macht über die Kriegsberichterstattung hatten. Im Zweiten Golkfkrieg, der nach der Besetzung Kuwaits durch das irakische Hussein-Regime seinen Lauf nahm, gingen grüne Geschosslichter um die Welt. Vom tasächlichen Krieg erfuhr man zunächst wenig. Erst als Reporter einflogen, deren Berichterstattung und Bilder nicht von den US-Truppen zensiert werden konnten, erfuhr die Öffentlichkeit mehr. Seit dem Dritten Golfkrieg und dem Afghanistankrieg, beide unter illegalen Voraussetzungen geführt, haben die westlichen Kriegsherren die Macht über die Bilder und Berichterstattung. Bis Abu Ghraib kam und die Greuel und Folterungen an Irakern, personifiziert mit der Soldatin Lynndie England, an die Öffentlichkeit gelangten. Zwar konnte die US-Armee im Wesentlichen ihre Offiziere aus der Sache heraushalten und gab damit indirekt zu, dass die Hierarchiekette nicht ausreichend funktionierte – was nur glaubte, wer es glauben wollte -, aber die Ehre der US-Armee war mehr als beschmutzt.

Nun steckt diese vermeintliche Ehre so tief im Morast, dass das Image des US-Militärs und das von Präsident Obama nachhaltig darunter leiden wird. Denn es wird nicht nur im Gefecht getötet im Irak oder in Afghanistan, sondern es wird gemordet, wie das auf WikiLeaks am 5. April 2010 veröffentlichte Video beweist, in dem zu sehen ist, wie am 12. Juli 2007 aus einem Hubschrauber heraus Zivilisten erschossen werden und die Mörder dazu noch dumme Sprüche loslassen. Zu den Opfern gehören neben zwei Kindern auch die damals auf der Lohnliste der Nachrichtenagentur Reuters stehenden Saeed Chingh (40; Fahrer) und Namir Noor-Eldeen (22; Journalist). Reuters gab sich ihrerseits nicht mit der von den US-Militärs verbreiteten Mär zufrieden, wonach sich entsprechend der ‚Rules of Engagement‘ alles korrekt zugetragen habe und die – angeblich mit AK 47-Maschinenpistolen ausgestatteten Zivilisten – „im Kampf gestorben“ seien. Reuters hakte nach, wollte eine Kopie des Videos, denn bekanntlich werden spätestens seit dem Zweiten Golfkrieg Luftangriffe aus dem Cockpit heraus auf Video aufgenommen. Reuters wurde eine Kopie verwehrt. Der Soldat, der offenbar mit einer solchen Version seiner Befehlshaber nicht einverstanden war, soll es WikiLeaks zugespielt haben. Er sitzt deshalb seit Mai in einem US-Militärgefängnis, wartet auf seinen Prozess und heißt Bradley Manning, 23. Wer das Video sieht, weiß sofort, dass die Aussage der Militärs gelogen war. Manning erwarten schlimmstenfalls 52 Jahre Gefängnis, sollte in den USA nicht vor der Verhandlung doch noch der gesunde Menschenverstand in die Justiz einkehren, und die Überzeugung, dass Mannings Vergehen, klassifiziertes Material an die Öffentlichkeit gebracht zu haben, redlich gewesen ist, weil nur dadurch Morde und Kriegsverbrechen durch US-Soldaten geahndet werden können.

Während die US-Militärs und die Hardliner in der US-Administration Manning am liebsten wegen Geheimnisverrats möglichst für ein halbes Jahrhundert wegsperren lassen wollen, vor allem, um damit Nachahmer abzuschrecken, sieht es um die Einschätzung seines Verdienstes um die Menschlichkeit andernorts nicht besser aus. Am vergangenen Sonntag (28.11.) saß in der ARD-Talkshow Anne Will eine schillernde Truppe, die sich über die Rolle von WikiLeaks auslassen durfte. Neben dem Chefredakteur des in Berlin erscheinenden Tagesspiegels, Stephan-Andreas Casdorff, der um eine abwägende, auf Für und Wider bedachte Analyse bemüht war, argumentierte der in der Republik inzwischen von Talkshow zu Talkshow herumgereichte Blogger Sascha Lobo sachgerecht pro Freiheit im Internet, WikiLeaks und Bradley Manning.

Mit von der Partie bei Will, die einen ihrer schlechtesten Tage hatte, waren der bräsige Ex-US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, Träger des Karnevalsordens Wider den tierischen Ernst, der PR- und Kommunikationsberater Klaus Kocks und Dirk Niebel, FDP-Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Kornblum, Kocks und Niebel ritten darauf herum, dass es sich bei den jüngsten Veröffentlichungen – Cablegate – um Geheimnisverrat handele und dies strafbar sei. Während Kocks sich in verbalen Scharmützeln mit Lobo verhedderte und kaum Substantielles zur Diskussion beitrug, versteckte sich der inzwischen pensionierte Kornblum hinter Formalien. Zu Manning meinte er, es sei ja noch nicht ausgemacht, dass der 52 Jahre bekäme.

Wichtiger als das, was Kocks und Kornblum von sich gaben, war das, was Niebel sagte. Der Mann, in dessen Parteinamen das vom Substantiv Freiheit abgeleitete Adjektiv freiheitliche steht, erwies sich als Niete – feige, schwadronierend, lächerlich. Wer Daten stehle, so sein Credo, müsse mit Strafe rechnen. Kein Wort und erst recht kein Vergleich mit dem Handeln von Manning und der Veröffentlichung des Videos auf WikiLeaks zu staatlichen Hehlern, die CDs über Steuerhinterziehungen ankauften. Auch kein Wort von Niebel darüber, dass sich Manning womöglich aus Gewissensgründen oder übergeordnetem Gewissensnotstand an WikiLeaks gewandt habe, nachdem er hatte feststellen müssen, wie seine Vorgesetzten die Morde zu vertuschen versuchten. Stattdessen Angriffe auf das Portal, das den Mut hat, Whistleblowern eine Plattform zu geben und damit eine Stütze für den Erhalt von Demokratie ist. Niebel ist seitdem nur eine weitere Spitze der Armseligkeit in Sachen Freiheits- und Demokratieverständnis und dürfte seine Partei weiteren Wählerschwund beschert haben.

Doch der wahre Gegner für das überdimensionierte Selbstverständnis der einstigen Supermacht USA, das seit der Amtszeit von George W. Bush einem enormen Erosionsprozess unterliegt, nicht zuletzt aufgrund wirtschaftlicher Schwäche, Mega-Finanzskandalen und offenkundig nicht eingelöster Versprechen von Bushs Nachfolger im Amt, Obama, heißt Julian Assange, der Frontmann von WikiLeads. Mit allen – noch zivilen – Mitteln versuchen die USA und ihnen hörige Staaten, Assange und sein Portal zu bekriegen. Der Mann, der sicherlich Besseres zu tun hat als in Stockholm Frauen zu vergewaltigen – wie ihm vorgeworfen wird -, wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Seine Einwendung dagegen wurde vom obersten Gericht Schwedens abgeschmettert. Was ist los mit Schweden? Eingekauft von den USA? Seit der Ermordung des ehemaligen Regierungschefs Olof Palme (Februar 1986) ist Schweden offenbar schwer unter die Räder gekommen.

Die sich im Wettlauf mit China befindende einstige Supermacht USA, die de facto ähnlich rigoros gegen Regimefeinde vorgeht wie das Land der Mitte, hat erkannt, dass sie in Assange und WikiLeads einen wahren Gegner bekommen hat, einen, der die Meinungsfreiheit und die Demokratie ernstnimmt. In der politischen Kloake des Obama-Regimes gesellen sich neuerdings Gefährten, von denen man nicht erwartet hätte, dass sie gegen WikiLeaks antreten. So kündigte der US-Online-Buch- und Gemischtwarenhändler Amazon WikiLeaks letzten Donnerstag die Nutzung seiner Server. Als nächster Nadelstich folgte die Kündigung der wikileaks.org-Domain und die unter dem gleichem Vertragspartner registrierte .ch-Domain. Am gestrigen Freitag reihte sich ein weiterer Internet-Gigant ein: der von Ebay beherrschte Online-Bezahldienst PayPal schloss WikiLeaks das Konto. Alle diese Online-Giganten haben als Business Angel und Venture-Kapitalisten die US-Firma Sequoia gehabt, die sich mittlerweile Silos mieten muss, um ihr Geld stapeln zu können.

Die US-Administration, ihr militärischer Arm, ihre Hackerbrigaden beschäftigenden Geheimdienstruppen im In- und Ausland, ihre Medien und unter ihrem Einfluss stehende Regierungen holen nun die Keule aus der Kammer, um die Demokratie und die Meinungsfreiheit massiv zu bekämpfen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, gegen wen sie es aufnehmen. Julian Assange, die WikiLeaks-Symbolfigur, ist aus der Geschichte – nicht nur der des Internets – schon jetzt nicht mehr wegzudenken. WikiLeaks ebensowenig. Die industriellen-militärischen Komplexe aller Länder, insbesondere der USA, können es auf Dauer nicht mit den Völkern aufnehmen, die nach Demokratie und Meinungtsfreiheit streben. Erst recht können sie es nicht mit denen aufnehmen, die vom Internet und dessen Strukturen in der Masse mindestens genausoviel verstehen wie die Besten innerhalb der US-National Security Agency (NSA) oder vergleichbaren Diensten.

Der Zug für politische Plots und Morde ist abgefahren. Kein Scherge kann sich mehr sicher sein, dass er nicht doch entlarvt wird. Keine Regierung kann sich mehr sicher sein, ihre Bevölkerung ungestraft an der Nase herumzuführen. Wir leben im Zeitalter des Internets. Und wir haben inzwischen eine erste, gut ausgebildete Generation von jungen Leuten, die sich mit dem Internet, dessen innerer Struktur und deren Möglichkeiten bestens auskennt und dazu eine politische Überzeugung hat. Das Wichtigste dabei: sie schafft Öffentlichkeit auch abseits wissenschaftlicher Erkenntnis. Hierzu bedarf es im Bereich Sozial-, Friedens- und Entwicklungsforschung zwar noch einiger Altvorderen und deren Arbeiten, doch künftig wird es darauf ankommen, Grundsätzliches bewahren zu müssen – Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte -, damit die Erkenntsnisse aus der Vergangenheit auch in die Zukunft überführt werden können und nicht etwa einem wie auch immer gearteten Zensurbetrieb zum Opfer fallen. WikiLeaks, so viel müsste klar sein, ist unbeschreiblich unverzichtbar.

Die US-Administration, auch die Chinas und Russlands, sowie die Despoten in asiatischen und afrikanischen Ländern mögen zur Zeit noch glauben, sie könnten eine Entwicklung verhindern, die längst auf dem Vormarsch ist. WikiLeaks ist nur ein Medium, wenngleich das gegenwärtig wichtigste, das dem globalen System des strukturellen Kapitalismus‘ die Stirn bietet. Für die Niebels und Kornblums dieser Welt wird die Luft folgerichtig dünner werden. PR-Berater wie Kocks werden aber wohl weiterhin ihren Brei verbreiten können. Immerhin eines hat der Kampf und die Konzernmedienberichterstattung zu Assange und WikiLeaks geschafft: es gibt neuerdings offenbar keine Terrorgefahr mehr in Deutschland. Wer hätte das gedacht?

Geowis Logo Klein

GEOWIS