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JOURNALISMUS | DER SPIEGEL

Neuer Gockel

Beim Spiegel geht es immer skurriler zu. Jetzt hat das Blatt den ehemals bei ihm beschäftigten Wolfgang Büchner für den Chefredakteurs-Posten verpflichtet
Von NINA BRENTHÄUSER |
Lesedauer ca. 3 Minuten |
29.04.2013

Es hat den Anschein, als sei der Spiegel-Chefredakteursposten nicht mehr erste Wahl unter Deutschlands gestandenen Journalisten. Anders ist die Verpflichtung von Wolfgang Büchner, der als Youngster 1991 bei dem Blatt angeheuert hatte und später dessen Online-Ableger verantwortete, dann aber 2009 zur Deutschen Presseagentur (dpa) wechselte, kaum zu erklären. Journalisten, die auf sich halten, gehen schon lange nicht mehr so häufig wie früher zum Spiegel. Zu mächtig ist dort die eingefleischte Redaktionsgenossenschaft, die offenbar nur einen Blödel an der Spitze braucht, der scheinbar eine Richtung vorzugeben hat, im Kern aber dafür sorgen soll, dass Auflage und Klicks stimmen, um Renditen zu bringen.

Der organisierte Redaktionsklüngel, einst als Gegengewicht zur Chefredaktion unter dem verstorbenen Spiegel-Chef Rudolf Augstein und der Verlagsleitung unter dem Gesichtspunkt der Mitarbeiterbeteiligung installiert, sitzt bequem in seinen Sesseln und ist zu feige, jemanden aus den eigenen Reihen auf den Chefredakteursstuhl zu hieven. Das saturierte Journo-Kollegium, lange gewohnt, sich als etabliert unter den deutschen Schreibern zu bewegen, ruht sich auf Vergangenem aus und scheut längst eingetretene Veränderungen. Ein bald schon protziges, fettes neues Verlagsgebäude mit viel lichteinlassenden Büros unweit der Hamburger Speicherstadt scheint den am Ertrag des Spiegels beteiligten Journos die Griffel schwer zu machen und die Verantwortung für die schreiberische Qualität immer wieder an den Chef-Gockel zu transferieren. Der heißt nun Wolfgang Büchner und wird in Spiegel-Online heute auf eine armselige Weise vorgestellt, indem lediglich sein journalistischer Werdegang tabellarisiert wird. Eine Würdigung seiner bisherigen journalistischen Leistungen erspart sich die Geschäftsführung unter Ove Schaffe. Das spricht Bände und wirft insbesondere ein schlechtes Licht auf das Haus, auf Ove Saffe und auf die tief im Spiegel verankerten Journos.

Der Spiegel, Print wie Online, hat schon lange ein Reputationsproblem. Bislang ist es an seinen Chefredakteuren festgemacht worden, was zum Teil berechtigt ist. Doch der Spiegel hat langjährige Redakteure und leistet sich viele Statthalter im Ausland, die sich augenscheinlich weit davon entfernt sehen, ihren Chefredakteur so zu unterstützen, dass dieser erfolgreich ist. Von außen wirkt das so, als säßen da Ü50jährige im Kindergarten. Das einst ernstgenommene Magazin hat nicht nur durch die schräge Erwartungshaltung der am Profit beteiligten hauseigenen Redakteure an ihren Chefredakteur an Reputation eingebüßt. Auch das Produkt, nämlich der Beitrag zum journalistischen Geschehen in Deutschland, wird nicht mehr prominent vom Spiegel geleistet. Im Sub-Genre Investigativer Journalismus hat ihm etwa die Süddeutsche Zeitung den Rang abgelaufen. Was im Spiegel steht, ist längst nicht mehr erste Sahne, wirkt nachgeplappert und für Politiker nicht allererst relevant. Für manche journalistische oder publizistische Kollegen auch nicht. Progressive Eltern könnten gegenüber ihren heranwachsenden Kindern gar anstimmen: „Es war einmal ein deutsches Nachrichtenmagazin, das … .“

Mit Wolfgang Büchner kommt nun ein Mann auf den Posten des Chefredakteurs, der sich einst von dem Blatt abgewandt hatte. Er kommt gewiss nicht, weil der Spiegel so toll ist. Er kommt wohl, weil das Blatt gutes Geld bezahlt. Die sicher im Hafen sitzenden Redakteure mit Gewinnausschüttung mögen weiter ihr Quasi-Beamtentum genießen und ihren Lesern von Zeit zu Zeit Artikel darreichen. Just so.

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