Ohne Anzeigen kann bekanntlich kaum ein anspruchsvolles Print-Magazin existieren. Auch das im Schnitt 108 Seiten starke, monatlich erscheinende, für Nicht-Mitglieder 12 Euro/Heft kostende Verbandsmagazin journalist nicht. Neben üblichen ganz-, doppel-, halb-, viertel- oder achtelseitigen Anzeigen gehören regelmäßige Beilagen unter den Titeln Fakten – Informationen für Journalisten, VIAVISION – Nachrichten aus der mobilen Zukunft und Themen – Service für Presse, Hörfunk und Fernsehen zu dem im Verlag Rommerskirchen GmbH & Co.KG erscheinenden Magazin.
Viavision, ein meist achtseitiger Beileger, ist eine Werbeschrift der Volkswagen Group; Fakten und Themen, häufig doppelt so umfangreich wie Viavision, werden von unterschiedlichen Unternehmen beigelegt, mal vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), mal von der Deutschen Bahn, mal von der Deutschen Post, mal von der Postbank, mal vom World Wildlife Fund, mal von Tetra Pak, mal von Vodaphone. Die kostspieligen Beilagen im Broschüreformat – wie das Magazin in mattgestrichenem Offsetpapier produziert – stellen eine wichtige Einnahmequelle für den im rheinland-pfälzischen Remagen ansässigen Verlag (früher: Medienfachverlag Rommerskirchen GmbH) dar, der meist als Herausgeber der Beileger fungiert. Auch für die Druckerei L.N. Schaffrath im niederrheinschen Geldern, an der die Rheinische Post Verlagsgesellschaft (Düsseldorf) und der Deutsche Ärzte-Verlag (Köln) beteiligt sind und die das alles druckt, lohnt sich die Sache. Die Gesamtabwicklung über den Verlag macht für die inserierenden und die Beilieger bezahlenden Unternehmen Sinn, ist es doch effizienter und umweltfreundlicher, alles aus einer Hand regeln zu lassen als in der Republik verteilte Verlage und Druckereien zu beauftragen und die Beileger dann nach Remagen transportieren zu lassen.

Dass viel manchmal zuviel sein kann, belegt die Novemberausgabe des journalist. Die Volkswagen Group legte dem Magazin als Viavision ein auf DIN-A-4 gefaltetes, 32seitiges Poster zum Thema Wer mit wem in der Automobilbranche kooperiert im Format 112 x 78 cm bei, auf dem „wichtige Kennzahlen“ umrahmt von einer komplizierten graphischen Konstellation vermerkt sind. Auf jeweils 24 Seiten bringen es die diesmal vom BDEW finanzierten FaKTEN mit dem Thema Smart Renewables – die Zukunft der erneuerbaren Energien und die von der Deutschen Bahn erdachten fakten. mit der Headline Compliance: Klare Regeln schaffen Sicherheit.
Was aber bringen die aufwendig produzierten Beileger der journalistischen und publizistischen Zunft und inwieweit lässt sie sich von den Inhalten beeindrucken? Klar ist, dass alle darin angegebenen Daten zunächst als übernahmefähig gelten und redaktionelle Beiträge als zitierfähig. Wie verlässlich sie sind, bleibt so lange offen, bis Nachrecherche sie bestätigen oder widerlegen. Abgesehen von pflichtmäßigen Offenlegungen bei Aktiengesellschaften ist es sicherlich notwendig, es sich als Empfänger der Informationen nicht zu leicht zu machen, indem die Zahlen einfach übernommen würden. Kein Wort verliert etwa die Deutsche Bahn in ihren fakten. zum kontroversen Projekt ‚Stuttgart 21‘. Auch zu anderen anstehenden Großprojekten des Unternehmens wird nichts geliefert. Stattdessen wird – auch mit Hilfe von Wissenschaftlern – über Regeln, Regelverstöße (‚Compliance‘), Ethik, Datenschutz und Beratung schwadroniert. Blumiger O-Ton von Bahnchef Rüdiger Grube: „(…) bei Compliance geht es um das Einhalten von Regeln (…). Hier geht es immer auch um einen zentralen Wert, der heute aktueller ist denn je: Vertrauen. (…)“.
Compliance hat je nach Kontext multiple Bedeutung. So kann es Befolgung, Fügsamkeit, Lernfähigkeit, Zustimmung, Regeltreue oder – neben Weiterem – Willfährigkeit heißen. Auf ihrer Webseite gibt die Bahn Auskunft über die ihrige Definition. Was aber nützt alles Hehre, wenn es nicht in die Realität diffundiert? Wenn zum Beispiel die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter im Hinblick auf Kundenfreundlichkeit und Rücksichtslosigkeit immer wieder Anlass zu Kritik gibt? Grube liefert weiterhin einige Allgemeinplätze, die erstens ohnehin jeder am Thema ‚Bahn‘ Interessierte oder sich mit ihm Beschäftigende kennt, und ihn zweitens entlarven, für wie dämlich er die geneigte journalistische Zielgruppe hält. Auf 24 Seiten liefert das Unternehmen den Eindruck ab, alles sei in Ordnung. Das in einem Stil, der kaum geeignet sein dürfte, kritische Journalisten vom Hocker zu hauen.

So fragt beispielsweise Maximilian Beyer in seinem Text für das diesmal von der Deutschen Bahn herausgegebene fakten. unter der Überschrift „Eine Flut ohne Ende“ nicht etwa danach, weshalb die Bahn datensammelwütig ist, sondern weshalb „die Menschheit so unvorstellbar viele Daten“ sammle. Grube ist die unter dessen Vorgänger Mehdorn entstandene Datenaffäre, derzufolge sämtliche Bahnmitarbeiter systematisch ausgespäht worden seien, nicht anzulasten. Dass dies nicht noch mal passiert, steht nicht in fakten. Immerhin ist von einem „sorgfältigen Umgang mit Kunden- und Mitarbeiterdaten“ in Helmut Broegs Artikel „Rechte wahren“ die Rede.
Am Schluss des PR-Beilegers gibt es ein paar Zahlen zu der Anzahl von Auszubildenden bei der Bahn (ca. 9000), zur Frequentierung der deutschen Bahnhöfe, zum Kohlendioxidausstoß pro Bahnreisendem von Frankfurt/Main nach Wien im Vergleich zum Flugzeug als Verkehrsmittel, die journalistisch nur marginalen Wert haben. Kein Wort und keine Zahl aber über die Anzahl und Hintergründe von Verspätungen und Zugausfällen. Ebensowenig nutzt das Unternehmen die elegante Broschüre, um darin Fakten zum technischen Stand der Flotte, zur Häufiigkeit von Schwarzfahrten oder zur Anzahl der vor die Tür gesetzten Fahrgäste unterzubringen. Journalistisch relevant wären zudem Zahlen über die Anzahl und die Kerninhalte von Beschwerden, die jährlich bei der Bahn eingehen und wieviele von diesen abgearbeitet werden. Für die Öffentlichkeit interessant wären auch klare Angaben zu den Vorstands- und Aufsichtsratsgehältern wie auch die zur zweiten Führungsebene – nebst sämtlicher zusätzlicher Vorteile. Nichtsdergleichen in fakten.
Eine ähnliche Prosa mit Zahlen liefert der Beileger des BDEW. Er konzentriert sich auf das Auflisten und die Darstellung von Informationen, die im Kern ohnehin längst bekannt sind, ohne aber aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in seinem 24 Seiten umfassenden Beileger zu berücksichtigen. Wie bei der PR-Broschüre der Deutschen Bahn scheint auch der BDEW die harte Wissenschaft zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Der eigenen Angaben zufolge „rund 1800 Unternehmen“ vertretende Verband gibt zwar einen Überblick zu den jeweiligen Anteilen der Energieträger, -gewinnung und -nutzung sowie zu den Kosten und den Lasten durch den Staat, und er informiert auch über die energiepolitischen Zielsetzungen und Leitsätze des Gesetzgebers, lobt ihn auch, lässt indes Angaben darüber vermissen, wie hoch der Anteil an bisherigen Subventionen in den einzelnen Energiegewinnungsfeldern gewesen ist und wieviel an Subventionen noch zu erwarten seien, um die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. Von Smart Cities, Smart Grids und Smart Renewables ist die Rede, und Maren Hille, Leiterin des BDEW-Geschäftsbereichs Erzeugung, die die wissenschaftlich noch nicht umfangreich akzeptierten¹, jedoch innerhalb der Energiebanche geläufigen Begriffe in einem wohlfeilen Interview knapp erläutert (ohne Hinweis darauf, wer das Interview geführt hat), regt ein Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) 2.0 an. Hinweise auf supranationale Energieprojekte, etwa Desertec: Fehlanzeige.
Wer den journalist bereits längere Zeit bezieht oder kauft, dürfte festgestellt haben, dass der Volkswagen-Konzern ein prominenter Unterstützer des Remagener Verlags ist. Kaum ein Unternehmen gibt soviel Geld für den journalist aus wie die Wolfsburger. Zwar liefert es stets einigermaßen veritable Daten und verzichtet auf überbordende PR-Prosa, doch sind all diese Daten vergleichsweise leicht abseits der Beilagen recherchierbar – ohne Public Relations. Weshalb also der kostspielige Service an Journalisten? Die Antwort könnte lauten: weil es bequem für sie ist. Das trifft meist nicht auf jene Journos zu, die sich Idealismus zum Berufsbild erhalten haben oder gerade idealistisch beginnen. Anfällig für die PR sind die satten, geh-, schreib- und recherchiermüden oder -faulen Kollegen, jene auch, die unter enormem Zeitdruck stehen, knappe oder gar keine Budgets für Recherche zugestanden bekommen und möglicherweise auf Kosten der Veritabilität lieber schnell liefern, in der Hoffnung, die Daten stimmen und die Aussagen sind einigermaßen brauchbar. Notfalls bezieht man sich auf die PR-Beilagen der Unternehmen.
Journos, die den Promo-Paketen und der Propaganda von Unternehmen, Institutionen und Staat aus den genannten Gründen vorbehaltlos Glauben schenken oder sie aus anderen Gründen als evident betrachten, können – ohne dass sie es womöglich wollen – in die Desinformationsecke geraten. Diejenigen, die sich mehr Zeit lassen und sich Mühe geben, Sachverhalte und Daten zu recherchieren, und jene, die ihren Chefredaktionen mehr Zeit und Geld für Recherche abzuverlangen versuchen, werden immer weiter an den Rand gedrängt. Schuld daran tragen mitnichten nur die Absender der PR. Die Verantwortung dafür tragen allererst die Fach- und Branchenmedien, die Aufträge entgegennehmen, ohne sie vorab auf inhaltliche Plausibilität und Verifizierbarkeit zu prüfen. Dazu gehört auch der journalist, der ja nicht nur als Branchenmagazin gilt, sondern auch als Fachzeitschrift, die mitunter auch ordentlich Geld für gute Beiträge ausgibt. Obwohl das Branchenblatt in fast jeder Ausgabe der vergangenen Jahre ordentliche, teils herausragende redaktionelle Beiträge geliefert hat, fällt auf, dass es hinsichtlich der Unternehmen, die die üppigen Beileger beisteuern, recht zurückhaltend in kritischer Berichterstattung war.

Zwar kann man dem DJV kaum anlasten, dass der Verlag Rommerskirchen die Beilagen der Unternehmen dem journalist beifügt; indes stünde dem Verbandsmagazin etwas mehr Distanzierung zu diesen ebenso gut wie eine kritischere Berichterstattung über die inserierenden und prominent auftretenden Unternehmen. Die Novemberausgabe 2010, die wie eine dicke Promo-Mappe erscheint, sprengt nun den Rahmen des Üblichen wie auch des Zumutbaren. Zwar ist man es von Fachmagazinen und -zeitschriften gewohnt, dass allerlei beigelegt wird, meist sind dies allerdings verlagseigene Werbe- und Informationsaktionen. Beispielsweise in Form von Postbestellkarten, A-5-Flyern, Kartenmaterial oder Kalendern. Dass die Beilagen aber einen Umfang erreichen, der nahezu an den reinen Magazinumfang heranreicht, ist ungewöhnlich. Und dass in diesem Fall das Verbandsmagazin des DJV zum Büttel des Verlags verkommt, indem er sich diese PR-Beilagen gefallen lässt, ist betrüblich.
Im Hinblick auf den Informationsgehalt der Beilagen beim journalist darf man sich fragen, ob künftig ein Weniger an Umfang nicht zumindest ein Mehr an Handling wäre, wenn schon eine inhaltlich gebotene journalistische Beratung zur PR der Auftraggeber augenscheinlich nicht vorgenommen wird. 80 Seiten Beileger sind jedenfalls dann ein starkes Stück, wenn deren journalistische Relevanz marginal ist, ja sogar in den Ruch reiner Propaganda und latenter Desinformation gerät. Für den Verlag und die Druckerei bedeutete die Reduktion zwar ein tatsächliches Weniger, weil mitunter Umsätze verloren gingen; für die Empfänger des Magazins vielleicht aber ein Mehr, weil Propaganda weniger Raum eingeräumt bekäme.
Regelmäßige PR-Beilagen wie die beim journalist besitzen das Potential, Berufsanfänger auf den bequemen und damit falschen Weg zu führen und die Lehre, durch die sie während ihrer Ausbildung gegangen sind, nachträglich zu nivellieren. Gemäß des Mottos: weshalb soll ich groß recherchieren, wenn ich mich doch auf die Unternehmensangaben beziehen kann? So nützlich die PR-Beilagen auch sein können – jeder Journo sollte sie bestensfalls als Denkanstoß verwenden und sich immer daran erinnern, was so mancher erbsenzählende Prof ihm beigebracht hat.

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