Schon die einleitende, freilich unbelegte Behauptung, derzufolge jemand „keinen fairen Prozess erwarten“ könne, der „in Ungarn vor Gericht steht“, lässt erahnen, was der für den einschätzungsschwachen mündigen Bürger als Meinung gekennzeichnete Beitrag von Ulrich Ladurner von dem EU-Mitgliedsstaat hält. Ungarn sei „das Reich Victor Orbáns, nicht das Reich von Recht und Gesetz“, fährt er fort und führt als Beleg an, dass „dieser Umstand sattsam bekannt und ein europäischer Skandal“ sei. Ladurners offenkundiger Anwurf aber zeigt vor allem sein Rechtsstaatsverständnis und seine mangelnde Rechtsauffassung, denn die dem linksextremistischen Spektrum zugerechnete Maja T. ist angeklagt, weil sie in der ungarischen Hauptstadt auf einer Demonstration gegen „Rechtsextremisten“ (Ladurner) mehrfach mit einem Hammer auf einen Demonstranten eingeschlagen und ihn damit schwer verletzt haben soll. Bei Ladurner heißt das lapidar „tätlich angegriffen“. Dass ein solcher Angriff, so er nachgewiesen werden kann, auch als Mordversuch gewertet werden könnte, auch von einem deutschen Gericht, fällt bei ihm unter den Tisch.
Ladurner hält die Höchstrafe von 24 Jahren, die am Ende einer potentiellen Verurteilung stehen könnte, für „absurd“ und das Verfahren für „illegal“, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Juni 2024 dem Eilantrag von T.s Verteidung stattgegeben hatte, wonach Maja T. nicht nach Ungarn ausgeliefert werden dürfe. Der Vorwurf gegen die nicht gestattete Auslieferung ist nicht neu. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hatte sich dazu Anfang Juli 2024 erklärt, indem sie darauf hinwies, dass das Urteil des BVerfG sie erst erreichte, nachdem sie – abgesichert durch das Berliner Kammergericht – dem ungarischen Auslieferungsgesuch bereits nachgekommen war. Ungarn habe zuvor „Garantien“ gegeben. Zwar erfolgte die Auslieferung nur wenige Stunden vor dem stattgegebenen Eilantrag und damit zügiger als man es sonst von der deutschen Auslieferungs- und Abschiebepraxis kennt, doch war sie zum Zeitpunkt des Vollzugs keineswegs illegal. Zuvor war die nach der mutmaßlichen Tat aus Jena stammende T. im Dezember 2023 in Berlin festgenommen worden und zunächst in Sachsen in Untersuchungshaft gekommen. Die Bundesanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, weil T. zudem im Verdacht stehe, einer kriminellen Vereinigung anzugehören, hat diese aber nach der erfolgten Auslieferung zum Ruhen gebracht.
Doch das linke Politspektrum samt seiner außerparlamentarischen Kamarilla lässt weiter kein gutes Haar an der Causa. Schließlich geht es gegen rechts und gegen das europäische Stiefkind Orbán, das ebenfalls dort verortet wird. In Ermangelung stichhaltigerer Argumente thematisiert Ladurner T.s binäres Selbstverständnis, Orbáns Haltung zur LGBTO-Szene sowie Ungarns Gesetzgebung zum biologischen Geschlecht. Wozu? In einem Rechtsstaat, zumal einem innerhalb der EU, spielt die Geschlechtszugehörigkeit bei einem derartigen Tatvorwurf bis zum Beweis des Gegenteils keine Rolle.
Als verträte er die Eltern der Angeklagten, fragt Ladurner, wo denn „die Empörung“ bleibe, weshalb es „keine breite Mobilisierung der Öffentlichkeit“ gebe, „sich kein Spitzenpolitiker, kein Vertreter der Regierung für Maja T.“ einsetze und unterstellt, dass „Deutschland das Schicksal Maja T.s offenbar ziemlich gleichgültig“ sei. Ihm zufolge habe ein demokratischer Rechtsstaat „die heilige Pflicht, sich um seine Staatsbürger zu kümmern, wenn ihnen Unrecht“ geschehe. Doch widerfährt ihr Unrecht, weil sie in Budapest vor Gericht steht? Auch dort gilt die Unschuldsvermutung. Vor dem Hintergrund des schweren Tatvorwurfs gegen T. und des noch nicht erfolgten Ausgangs des Verfahrens wirkt die Haltung und das verbrämte Rechtsverständnis des Zeit-Journalisten ausgesprochen befremdlich.

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