Knorrig. Knurrig. Ablehnend. Intolerant. Ignorant. Diskriminierend. Politisch völlig inkorrekt. Nachsichtig. Fürsorglich. Verantwortungsbewusst. Mutig. Dreist. Verletzlich. Von Erinnerungen gepeinigt. Unbarmherzig. Barmherzig. Nachdenklich. Lernend. Alle diese Attribute treffen auf Walt Kowalski zu, den Clint Eastwood in Gran Torino darstellt. Es ist einer der bisher besten Filme, die Eastwood als Regisseur und als Hauptdarsteller gemacht hat. Und einer seiner – in Dollarn beziffert – erfolgreichsten. Gran Torino startete vor vier Monaten – am 12. Dezember 2008 in den USA – langsam. Um 150 Millionen hat der Film bis Mitte März 2009 an den Kinokassen eingespielt, etwa das Zehnfache der Produktionskosten. Zum Vergleich: Seine beiden letzten bemerkenswerten Filme vor Gran Torino, bei denen er Regie führte – Million Dollar Baby (2004) und Letters from Iwo Jima (2006) – erreichten diese ökonomischen Kennzahlen in vergleichbarem Zeitraum nicht. Letters from Iwo Jima, mit geschätzten 15 Millionen Produktionskosten, hat auf der Leinwand bisher etwa 110 Millionen Dollar eingespielt; Million Dollar Baby bei Kosten von zirka 30 Millionen rund 145 Millionen.

Dass sich nun ausgerechnet ein auf den ersten Blick geradezu unspektakuläres Thema, hingegen gut erzähltes Drama in den letzten Wochen zu einem cineastischen Tsunami entwickelte, erstaunt, liegt aber auch an der in die Gegenwart passende Reflexion regionaler Deprivation. Walt Kowalski, Amerikaner vom alten Schlag mit polnischen Wurzeln, war stets auf der sicheren Seite, solange für ihn bei Ford das Fließband störungsfrei lief und seine Nachbarn ur-amerikanische ‚caucasians‘ – also Weiße – waren. Alles hatte seine angestammte Ordnung, war geregelt und leicht überschaubar. Doch Kowalski, der in den frühen 1950ern im Koreakrieg war, ist längst Rentner. Im Grunde will er nichts als seine Ruhe haben, auf der Veranda sitzen und Pabst Blue Ribbon-Bier aus der Dose leeren, gelegentlich einen Blick auf seinen Golden Labrador Retriever namens Daisy werfen und den Tag angucken.

Er ist ein Mann, der weiß, dass er nicht mehr gebraucht wird; einer, dessen geliebte Frau gerade verstarb; einer, der sich innerlich über seine in unpassender Kleidung zur Trauerfeier erscheinenden Enkel ärgert, die er für Nichtsnutze hält – was sie sind – und auf seine beiden erwachsenen Söhne, der eine unpratiotisch, der andere vorteilsbedacht, nicht viel gibt. Er ist auch ein Mann der Tat, hat die Garage voller Werkzeug – alles an seinem Platz – und besitzt neben seinem Gebrauchsfahrzeug, einem Pick-up, einen auf Hochglanz gepflegten Ford Gran Torino, Baujahr 1972. Kowalski vertraut niemandem, außer vielleicht Daisy. Den Pfarrer Father Janovitch (Christopher Carley), der Kowalskis verstorbener Frau versprach, auf ihn aufzupassen, meiert er noch während des Leichenschmauses ab, weil der ihm die Beichte nahelegt, ihm aber zu jung erscheint und weil er, Kowalski, für die Kirche nicht viel übrig hat. Doch Father Janovitch ist ein hartnäckiger Pfaffe, der sich nicht so leicht ins Bockshorn schlagen lässt – und dennoch um eine verblüffende Erfahrung reicher wird, die ihm sein Schäfchen Kowalski noch beibringen wird.
Kowalski lehnt seine Nachbarn, eine asiatische Familie der Volksgruppe Hmong, die gerade ein Neugeborenes feiern, ab und belegt sie mit rassistischen und diskriminierenden Äußerungen – Bambusratte für den 16jährigen Thao (Bee Vang) und Drachenlady für dessen nur wenig ältere Schwester Sue (Ahney Her) gehören noch zu den harmloseren Ausdrücken. Man bekommt eine Ahnung, wie unmenschlich es im Koreakrieg zugegangen sein muss, obwohl kein einziges Kriegsbild gezeigt wird, wenn Kowalski sagt, man habe Koreaner zwei Meter hoch gestapelt und sie als Sandsäcke benutzt. Es ist die bis ins Alter mitgenommene Ausdrucksweise eines einst jungen GIs, der getötet hat und mit dieser Last auch fünfzig Jahre später noch nicht fertig wird. Und die geerdeten Hmong in seiner Nachbarschaft halten seine Erinnerung an Korea wach, ohne dass sie es wollen.

Als eine Hmong-Jugendbande es auf den jungen Thao abgesehen hat und es eines Abends zu einem Gerangel zwischen Thaos Familie und der Bande kommt, schreitet er ein und verjagt die Lümmel. Tags darauf erweisen ihm seine Nachbarn nach asiatischer Art seinen Dank, mit dem Kowalski nicht umgehen kann. Es ist Sue, die ihm im Schnellverfahren ethnisch-kulturellen Einblick verschafft, nachdem er gefragt hat, wo „Humong“ liege. Ihr gelingt es mit forschem Mundwerk, ihn zu einem Familienessen mitzunehmen. Kowalski beginnt umzudenken, zumal es ihm schmeckt und er klar gemacht hat, dass sein Hund nicht in den Wok komme. Er entwickelt väterliche Gefühle für Thao, den er für ein Weichei hält, ihn aber vor der Jugendbande schützen will. Er nimmt ihn unter seine Fittiche, bringt ihm Umgangssprache und Selbstbewusstsein bei, besorgt ihm einen Job. Doch die Bande rächt sich an der Familie und Kowalski sieht sich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen.
„Ich möchte keine Filme mehr machen, die sich dem reinen Unterhaltungswert widmen“, sagte Clint Eastwood jüngst dem Spiegel (Print-Ausgabe) im Interview. „In meinem Alter kann ich es mir leisten, mich nur noch Projekten zu widmen, die mir aus dem Herzen sprechen.“ Ende Mai wird Eastwood, der für seine Arbeiten bisher vier Oskars gewinnen konnte, 79. Gran Torino ist der vierte Film, in dem Eastwood den Koreakrieg anspricht. Mit Thunderbolt and Lightfoot (Die Letzten beißen die Hunde) begann es 1974, als der Silver Star, eine Auszeichnung für Soldaten, erwähnt wird. Seitdem im Schnitt alle zwölf Jahre. 1986 führte er Regie und spielte die Rolle des Sergeant Thomas Highway im Korea-Kriegsdrama Heartbreak Ridge; 1997 spielte er in Absolute Power den gealterten Juwelendieb Luther Whitney, der im Koreakrieg gewesen war. Nun Gran Torino.

Es scheint, als habe Eastwood eine seltsame Affinität zu diesem Krieg, der zu den düstersten Kapiteln US-amerikanischer Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts gehört, aber auch zu den fragwürdigsten der Vereinten Nationen. Die Hmong, seine unvermeidlichen Nachbarn, helfen Kowalski, sein Koreatrauma in den Griff zu bekommen, indem sie ihre geballte Liebenswürdigkeit und Demut auf ihn einprasseln lassen. Sie leben ihm vor, was Familie ist, und ohne dass es ausgesprochen wird, fühlt sich Kowalski zuständig, diese Familie – die Lors – zu beschützen. Er weiß, dass Thao ohne ihn keine Chance hätte, sich der Jugendbande auf Dauer zu entziehen, um ein vernünftiges, gewaltfreies Leben führen zu können. Er weiß, dass die Familie Lor weiterhin drangsaliert würde, schritte er nicht ein. Und er weiß, dass er der einzige ist, der etwas ändern könnte. Er war Soldat.
Eastwood auch, aber er war nie in Korea. Auf die Frage des Spiegel, ob er je darüber nachgedacht habe, wie sich sein Leben verändert hätte, wenn er im Fronteinsatz vielleicht selbst hätte töten müssen, antwortete Eastwood unter anderem: „Ja, diese Frage habe ich mir nicht nur einmal gestellt. Die Dreharbeiten haben diese Gedankenspiele wieder neu geweckt. Keiner weiß, was passiert wäre. (…) Ich bin sehr froh, daß mir diese Erfahrung erspart geblieben ist.“ Der alte Haudegen, der seinem Dirty-Harry-Habitus bis heute treu geblieben ist, indem er nach wie vor knappste Dialoge bevorzugt, sich auf Symbolik versteht und die gemächlicheren Bewegungen bevorzugt, hatte für Gran Torino das Glück, sich wesentlich auf Laiendarsteller und Debütanten verlassen zu können, die ihre Rollen hervorragend spielten und denen er – wie es heißt – recht freien Lauf ließ.

„Er hat mich wie einen neuen Freund begrüßt“, sagte Ahney Her der Grand Rapid Press, als sie zur Filmvorführung im Januar 2009 anreiste, um sich den Streifen zum viertenmal anzusehen. „Er ist ein sehr demütiger Typ, und die Art, wie er Regie führt, ist sehr sanft“, sagte sie über den Regisseur Eastwood. Her nahm am Casting teil, zu dem Hunderte aus ihrer nach den USA emigrierten Volksgruppe vorstellig geworden waren, und hätte nie geglaubt, dass sie die Rolle bekomme. „Er hat mir gesagt: tu, was du tun musst und sei einfach du selbst“, wird Her, die Fotografie und Innenarchitektur studieren will, in der Grand Rapid Press zitiert.
Clint Eastwood hat eine Fülle guter und respektabler Filme gedreht, vor allem, wenn er selbst Regie führte. Einige seiner Arbeiten als Regisseur und Schauspieler fallen in die Kategorie Herausragend. Dazu gehört zweifelsohne Gran Torino, der in den USA überaus erfolgreich ist, in Deutschland bisher jedoch noch nicht den kommerziellen Durchbruch schaffte.

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