Ausgerechnet im Land der Rock- und Popmusik schlechthin herrschte Mitte der 1960er Jahre im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Flaute, soweit es diese Genres betrifft. Nur wenige Stunden pro Woche sendete die BBC Rock und Pop, ansonsten jede Menge Jazz, Swing und Evergreens aus den 1940ern. Privater Rundfunk war verboten. Nur in den Klubs und von Tonträgern konnte man ungehindert die musikalische Revolution hören. Was lag da näher, als einen Piratensender ins Leben zu rufen? Genau das geschah 1964 mit Radio Caroline.
Obwohl Radio Rock Revolution (Originaltitel: The Boat That Rocked) nicht die Geschichte dieses Senders erzählt, wie Regisseur Richard Curtis (Vier Hochzeiten und ein Todesfall; Notting Hill) in einem Interview mit dem BBC-Radio-Journo Dave Cash äußert, sind Ähnlichkeiten wohl gewollt. Der Film spielt im Jahr 1966. Taillierte Hemden mit Paisley-Muster, enge Cordjeans und -jacketts in schrillen Farben, eng anliegende Nadelstreifenanzüge und buschige Koteletten sind am Start. Dazu acht Deejays, ein Chef, jede Menge leicht oder unbekleidete, herangeschiffte Frauen, ein zu entjungfernder Neffe auf der Suche nach seinem leiblichen Vater und ein puritanischer Postminister geben die Protagonisten.

Doch der Ort, von dem aus gesendet wird, ist der wahre Held. Es ist die Radio Rock, ein Schiff, das in der Nordsee vor der britischen Küste ankert und damit das Gesetz umgeht, das zu jener Zeit lediglich das privatwirtschaftlich ausgerichtete Senden von terrestrischen Radiostationen verbietet. Rund um die Uhr legen die Deejays unter der Führung von The Count, gespielt von Oskarpreisträger Philip Seymour Hoffman, das Angesagteste vom Angesagten auf, machen ihre Späße, verkünden, was an Bord los ist und begeistern so fast die Hälfte der britischen Bevölkerung. Die hat das Kofferradio am Arbeitsplatz, in der Küche, auf der Toilette und sonstwo stehen und nimmt es abends unters Kopfkissen, um mit der Nachtschicht der moralisch ungezwungenen Radiorevoluzzer einzuschlafen. Von der Hausfrau über die Friseurin, Büroangestellten, Krankenschwester bis zur Rentnerin – und ihren männlichen Pendanten – wird zur frechen, politisch und puritanisch nicht korrekten, weil textlich frivolen und subversiven Musik gerockt, gewippt, getanzt und mitgesungen.
Sie – und wir – hören The Who (My Generation), The Kinks (All Day and all of the Night; Sunny Afternoon), The Rolling Stones (Jumping Jack Flash; Let’s spend the Night together), The Hollies (Listen to me), Wilson Pickett (Land of Thousand Dances), Steve Winwood (Gimmie some Lovin‘), McCoys (Hang on Sloopy), The Turtles (Elenore), The Easybeats (Friday on my Mind), Françoise Hardy (All over the World), The Lovin‘ Spoonful (Do you believe in Magic), Jimi Hendrix (The Wind cries Mary), The Troggs (Wild Thing), Cat Stevens (Father and Son), The Moody Blues (Nights in White Satin), The Young Rascals (Groovin‘) und jede Menge mehr.
Neben den amerikanischen Schauspielern Seymour Hoffman und January Jones (Elenore) brillieren vor allem die britischen und die zum Commenwealth gehörenden Akteure. Angeführt vom phänomenalen Bill Nighy (sprich: Nai), der den Radiobetreiber Quentin spielt, tritt eine Riege an Talenten und etablierten Schauspielern auf, die einem mit ihrem Spiel die Lachtränen aus den Augen treiben. So Talulah Riley (23) als Marianne, die mit des Radiobetreibers Neffen Carl (Thomas Sturridge) in Liebe fällt, den dessen Mutter Charlotte (Emma Thompson) auf das Schiff schickt, damit dieser von seinem Onkel etwas fürs Leben lernt. Was gelingt. So auch der Ire Chris O’Dowd, der Simon darstellt, der nach kurzer Bekanntschaft mit Elenore diese glorios auf dem Schiff heiratet. Siebzehn Stunden später ist die Ehe am Ende. In diesem Ensemble von herausragenden Darstellern, die Richard Curtis für diesen Film in Szene setzt, fallen auch Nick Frost (Dave) und Katherine Parkinson („I’m lesbian“) mit ihrem ganzen Komödiantentum auf.
Während für die Deejays von Zeit zu Zeit weibliche Fans aufs Schiff kommen, um ihnen bei der Bewältigung ihrer Hormonstaus zu helfen, geht die lesbische Schiffsköchin Felicity meist leer aus. Sie trägt es mit Fassung – und mit trockenem britischen Humor. Den legt auch Bill Nighy an den Tag und spielt den mit der undankbaren Rolle des bornierten Bösewichts Dormandy betrauten Kenneth Branagh, der wie immer sehr gut ist, doch glatt an die Wand. In einem Interview mit Nigel Farndale vom Londoner Telegraph äußert Nighy sich zum Film und Regisseur Richard Curtis: „Was immer der Film sein mag, er ist hauptsächlich eine Entschuldigung für Richard, all diese Lieder jener Zeit zu spielen (…). Er ist deren Skalve. Es ist schon lustig, aber damals, 1966, habe ich lediglich zur Kenntnis genommen, dass all diese gute Musik um mich herum war. Ich dachte, das wäre normal, doch rückblickend stelle ich fest, dass es eine außergewöhnliche Zeit für Musik war. Außergewöhnlich!“

Der Film ist ein Ohren- und Augenschmaus. Er kommt überhaupt nicht unpolitisch daher und passt gut in die heutige Zeit. Er beleuchtet eine kurze Zeitspanne des positiv Radikalen, des Unangepassten, eine Zeit, in der sich – anders als heutzutage häufig – junge Leute etwas trauten, sich über Konventionen hinwegsetzten, sich nicht gängeln ließen, sich ihren Spaß teuer zu erkaufen bereit waren. Und er zeigt, dass damals risikofreudige Idealisten mit einigermaßen vorhandenem Geschäftssinn bereit waren, etwas zu wagen und sich nicht mit dem Gegebenen irgendeiner Obrigkeit abzufinden.
Ohne solche risikobereiten Leute hätte es nie einen John Peel (1939-2004) in der BBC gegeben. Und ohne die Offshore-Piratensender würden in Großbritannien womöglich immer noch nur Count Basie und Konsorten gespielt – und in Deutschland Marschmusik. Dass die Obrigkeit alle Register zu ziehen vermag, um unliebsamen Bevölkerungsteilen den Spaß zu verderben und das Leben zu erschweren, ist hinlänglich bekannt. Dies geschieht auch im Film – und geschah in Großbritannien tatsächlich -, indem ein Gesetz verabschiedet wird, das Piratensender verbietet. Doch der fiese Dormandy, der bereit ist, den Tod der Radio Rock-Crew in Kauf zu nehmen, unterschätzt die Hörer. Das Subversive hat längst gewurzelt.

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