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ACADEMY AWARDS | NEBRASKA

Charakter zählt

Bruce Dern ist für seine Rolle des Woody Grant in Alexander Paynes Film Nebraska für den Academy Award nominiert. Angesichts seiner schauspielerischen Leistung müsste er endlich den Oscar bekommen
Von JONAS LITTFERS |
Lesedauer ca. 5-6 Minuten |
02.03.2014

Es war eine späte Hauptrolle für den Kultstatus genießenden Schauspieler. Er hat zwar in mehr schlechten als bemerkenswerten Filmen gespielt und sein Name als hervorragender Charakterdarsteller ist erst seit kurzer Zeit wieder im Gespräch, nachdem Quentin Tarrantino ihn mit einer Rolle in Django Unchained (2012) bedachte, doch Bruce Dern, der vom amerikanischen Mainstream-Publikum einst verstoßen wurde, weil er in Mark Rydells Film The Cowboys (1971) den All-American-Ober-Cowboy und Liebling der Nation, Retter vor allen Übeln und auch noch Vollmacho John Wayne erschießt, fährt auf seine alten Tage die Ernte seiner umfangreichen und außergewöhnlichen Darstellungskunst ein. Dass er unter Cineasten seit gut 50 Jahren als Kultschauspieler gilt, hat er vor allem seinen Leistungen in den Filmen The Wild Angels (1966), The Trip (1967), Silent Running (1971), The King of Marvin Gardens (1972), The Great Gatsby (1974) und Coming Home (1978) zu verdanken. Zwei Jahre bevor das seit Jahrzehnten als Kultfilm gehandelte Dennis-Hopper-Road Movie Easy Rider entstand, der das Free-wheeling heroisierte, glänzte Dern in The Wild Angels von Roger Corman. Motorradgangs gab es im wirklichen Leben ja bereits seit einigen Jahrzehnten, etwa die Outlaws.

Es war wieder Corman, der Dern für eine anspruchsvolle Rolle in einem nicht herausragenden, aber doch wichtigen Film besetzte. Dern spielte in The Trip als John den Instruktor, Begleiter und Aufpasser seines Kumpels Paul (Peter Fonda), als dieser erstmals Erfahrung mit LSD machen möchte und macht. In Jack Claytons The Great Gatsby erweist er sich in der Rolle des Ted Buchanan als Kontrahent von John Gatsby (Robert Redford). Unter Cineasten gibt es seitdem immer wieder Kontroversen, wer die bessere schauspielerische Leistung dieser beinahe gleichaltrigen Darsteller ablieferte. In dem Drama Coming Home von Hal Ashby erweist Dern sich in der Rolle des Captains Bob Hyde abermals als wandlungsfähiger Charakter. Er, ein Marine, ist psychisch damit überfordert, dass seine Frau (gespielt von Jane Fonda) sich in einen Vietnamveteranen (Jon Voight) verliebt, der im Rollstuhl sitzt.

Szene aus Silent Running, 1972 | Universal Pictures

Kultstatus erlangte Dern aber hauptsächlich in der Rolle des mit einem grünen Finger ausgestatteten Astronauten Freeman Lowell in Douglas Trumbulls Film Silent Running. Ein fesselndes, zur damaligen Zeit geradezu beängstigend wirkendes Kammerspiel, das von seiner Intensität her mit dem 2008 erschienenen Duncan Jones-Film Moon vergleichbar ist. Planet Erde ist längst passé. Lowell, unterwegs im All, kümmert sich um die sauerstoffproduzierenden und nahrunggebenden Pflanzen in seinem Arche-Noah-ähnlichen Raumschiff. Ein paar Tiere gibt es auch, und Insekten. Wasser ist ebenfalls vorhanden. Doch der Auftrag, von dem er nichts weiß, lautet, sämtliche Botanik und Organismen, die von der Erde ins All mitgenommen wurden, zu zerstören. Lowell sieht das nicht ein. Als er sein Biotop von seinen Astronautenkollegen bedroht sieht, geht er bis zum Äußersten. Während zu jener Zeit eine Reihe von US-amerikanischen Kinofilmen entstand, die den Überlebenskampf auf dem Blauen Planeten thematisieren, wobei das Gute das Chaotische meist in den Griff bekommt, knüpfte Silent Running zum Beispiel an Stanley Kubricks 1967/68 entstandenen Film 2001 – A Space Oddity an. Nicht das Chaos auf der Erde, sondern die Situation von Menschen im Weltraum und deren Überleben dort werden thematisiert. Vor dem Hintergrund, dass die Erde unbewohnbar geworden ist oder nicht mehr existiert.

Silent Running gilt als Derns wichtigste Rolle unter vielen wichtigen. Nicht nur, dass er als Ökologie-Radikaler auftritt und dabei psychopathische Verhaltensweisen an den Tag legt; er überzeugt vollends auch als Verteidiger des Gemüses, indem er seine Crew abmurkst, weil sie seine Einstellung zur Biologie und nutzpflanzlichen Botanik nicht teilt. Obwohl er vor und nach Silent Running stets eine herausragende Arbeit ablieferte, wurde er fast drei Jahrzehnte lang von Hollywood für Hauptrollen in großen Produktionen weitgehend gemieden und bestenfalls mit Nebenrollen bedacht. Er bekam Rollen in B- und C-Movies sowie im TV. Die Angst der Studiobosse, ihn mit Hauptrollen zu bedenken, nachdem er in The Cowboys Cowboy-Ikone John Wayne erschossen hatte, war groß. Dern galt nicht als Nice Guy. Wie er gerne kolportiert, habe John Wayne damals zu ihm gesagt, das amerikanische Publikum werde ihn für seine Rolle als Long Hair hassen, worauf Dern entgegnet habe, dass man ihn dafür in Berkeley lieben werde. Privat waren Wayne und Dern nicht befreundet, was nicht verwundert, da Dern eher ein Demokrat und Liberaler war, Wayne ein konservativer Republikaner wie einst Charlton Heston.

Wahrscheinlich würden andere US-Kino-Stars heute auch ruckidizucki gemieden, wenn sie Ikonen kaltmachen oder gegen ihr Image schauspielern. Man stelle sich vor, Bruce Willis oder Robert Redford spielten Kinderschänder, Dschihadisten oder skrupellose psychopathische Mörder. Das US-amerikanische Mainstream-Publikum, das eben noch seine Kino-Lieblinge als Heroen des Guten, als imaginäre Sofa-Nachbarn, die sich an Gebäck, Kräckern und Bier bedienen dürften, und als Kumpane verstand, quasi nach dem Motto: „Well done, son. I’d dunnit the way you dunnit“, ist nicht gut darauf zu sprechen, wenn Nice Guys plötzlich Bad Guys verkörpern oder Bad Guys die Guten meucheln. Das deutsche übrigens auch nicht.

Bruce Dern hat sich nie darum gekümmert, was Einfalt oder Mainstream dächten. Er wollte stets nur arbeiten. Richtig ans Portmonnaie ging ihm sein negatives Image nicht. Er war immer im Geschäft, spielte in international erfolgreichen Western-Serien mit. So in Bonanza an der Seite von Lorne Greene, Michael Landon, Dan Blocker und Pernell Roberts; in Rauchende Colts neben James Arness; in Die Leute von der Shiloh Ranch neben James Drury und Doug McClure; in Big Valley mit Lee Majors; in Geächtet mit Chuck Connors und in der allein durch ihre Filmmusik beliebten Serie High Chaparral mit Leif Erickson, Cameron Mitchell und „Manolito“ Henry Darrow. Walter Hill besetzte ihn 1978 mit der zweiten männlichen Hauptrolle in Driver; Michael Polish 2006 in The Astronaut Farmer.

Dern spielte mit den meisten schauspielerischen Größen Hollywoods zusammen. Mit Peter Fonda, dessen Schwester Jane, mit Jack Nicholson und Dennis Hopper, mit Jon Voight, Karen Black, Billy Bob Thornton, Liam Neeson, Catherine Zeta-Jones, Leelee Sobieski, Bruce Willis, Robert Redford, Diane Lane, Nancy Sinatra u.v.m. Er hat seinen Beruf als Schauspieler über 50 Jahre lang konsequent ausgeübt und wichtige Rollen angenommen, die ihn forderten, wobei er wohl nicht davon ausgegangen war, dass ihm schon mit 30 Jahren ein Mainstream-Image als bad guy widerführe. Und sich das noch steigern ließe, nachdem er für den Erhalt eines interstellaren Biotops zum Mörder wird.

Man müsse nur lange genug durchhalten in Hollywood, gab er jüngst zu Protokoll. Der Satz könnte glatt von Clint Eastwood stammen. Wahrscheinlich hätte Dern in Eastwoods Kultfilm Gran Torino den besseren Ed Kowalski gespielt, wenn Eastwood nicht so eigennützig wäre, indem er sich nicht mit der Regie begnügt, sondern auch der Meinung ist, er sei der einzige, der die Hauptrolle in seinen Filmen spielen können. Langweilig, gelegentlich. Dern, sechs Jahre jünger als Eastwood, verkörperte zu jener Zeit, als die beiden in Hollywood so richtig Fuß fassten, in seinem Spiel den Radikalen, Liberalen, Kommunisten, Sozialisten, Träumer und Weltverbesser, während Eastwood den Konservativen gab, den Typen also, der zur Flinte greift, wenn – wie in Gran Torino – jemand im Vorübergehen bei plötzlichem Urinierdrang unbedacht einem an den Vorgartenzaun pinkelt.

Nun ist Dern für seine Hauptrolle in Alexander Paynes Film Nebraska für einen Oskar nominiert. Er hält in der Rolle des Woody Grant, eines Alkoholikers, der glaubt, in der Lotterie den dicken Fisch an Land gezogen zu haben, sein ganzes Können all jenen jahrzehntelangen Ignoranten und vermeintlichen Patrioten vor Augen, wie es nur wahre Cineasten für möglich gehalten hätten. Obschon die Konkurrenz für ihn auf den ersten Blick groß zu sein scheint. Wenn die auf Umsatz und Profit achtende Academy-Diktatur auch nur einigermaßen gerecht urteilen wollte, müsste sie Dern den Oskar für die beste männliche Hauptrolle verleihen. Mindestens jedoch für sein Lebenswerk. Dern würde wohl artig annehmen und hernach möglicherweise denken: ihr könnt mich mal kreuzweise, ihr Ignoranten! Aber er erführe auch späte Genugtuung für seine darstellerischen Leistungen. Die neben ihm Nominierten wären angesichts seiner Leistung keine Konkurrenz, betrachtete man sie unter dem Aspekt rein schauspielerischer Größe. Da kann bestenfalls Christian Bale mithalten, der aber seine bislang vielleicht eindrucksvollste schauspielerische Leistung schon als Kinderstar in Steven Spielbergs Empire of the Sun (1987) abgeliefert hat.

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