Die Geschichte ist so spannend wie genial. Eine Frau fährt mit einem mit ihr befreundeten Paar und einem Jagdhund in die Alpen zu einer kommoden, gut eingerichteten Berghütte. Kaum angekommen, spaziert das Paar hinunter ins Dorf, während die Frau mit dem Hund zurückbleibt. Am Morgen darauf ist das Paar noch nicht zurückgekommen. Die Frau macht sich auf den Weg Richtung Dorf und stößt unerwartet vor eine unsichtbare Wand, die sie nicht durchdringen oder umgehen kann. Von nun an ist sie mit sich und dem Hund, einer Kuh und einer Katze allein. Für immer.
Wie geht ein Mensch, der plötzlich völlig von der ihm gewohnten Außenwelt abgeschnitten ist, ja sogar der letzte auf dem Planeten zu sein scheint und keine Chance mehr auf Fortpflanzung hat, mit einer solchen Situation um, die unmittelbar und radikal Urängste zu Tage fördert? Verfällt er in eine Depression und sucht sich eine Klippe, um sich hinabzustürzen? Oder fügt er sich dem Gegebenen zunächst, richtet sich ein, in der Hoffnung, es wäre doch nicht für immer, die Wand verschwände irgendwann?

Allein auf der Welt zu sein, war cinematographisch in vergleichbarer Beklommenheit nach meiner Kenntnis erst einmal ein Thema, 1985, als The Quiet Earth (dt.: Das letzte Experiment) des neuseeländischen Regisseurs Geoff Murphy in die Kinos kam. Ein Mann wacht morgens auf und kein Mensch ist mehr da. Anders als in Die Wand wird der Hintergrund der Katastrophe erläutert. Bei einem Experiment ist etwas schiefgelaufen. Der Mann droht durchzudrehen und fängt sich erst wieder, als er auf eine Frau und mit ihr auf einen weiteren Überlebenden trifft. In Pölslers Drama akzeptiert die Frau ihre Situation nach und nach. Sie weiß, dass sie aktiv werden muss, will sie überleben. Und das will sie. Sie bringt sich das Jagen und das Kuhmelken bei, befasst sich mit der sie umgebenden Natur, taucht in sie ein und senst sogar eine Almwiese. Das ist Ordnung. Und sie hat den Hund, der auf den Namen Luchs hört. Auf den kann sie Gefühle projizieren. Nach einiger Zeit beginnt sie zu schreiben, „weil es sich so ergibt“, wie ihre Stimme aus dem Off erzählt.
Als Marlen Haushofer (1920-70) den Roman schrieb, war sie um die vierzig. Sie hatte – wie ihre weitaus berühmtere österreichische Kollegin Ilse Aichinger (*1921) – den Zweiten Weltkrieg als junge Frau erlebt und in der Nachkriegszeit zu schreiben begonnen. Sie hat den Großteil ihres Lebens in einer Zeit gelebt, in der die Rollen zwischen Mann und Frau klar verteilt waren. Männer sorgten für den Lebensunterhalt, ihre Gattinnen hielten den Haushalt in Schuss und kümmerten sich um die Aufzucht des Nachwuchses. Als eigenständiges Individuum wurde eine verheiratete Frau ganz gleich welcher Schichtzugehörigkeit wenig wahrgenommen. Sich gegen dieses Rollenbild aufzulehnen, war mutig und gelang den wenigsten. Mit ihren Sehnsüchten und Gefühlen liefen die Frauen dieser Generation und Epoche also wie vor eine unsichtbare Wand und blieben mit ihnen meist allein. Dieses Bild vermittelt der Film gleichsam.
Dank der preisgekrönten Schauspielerin Martina Gedeck (*1961), die eine derart herausragende Darbietung abliefert, als hätte Haushofer damals sie als Protagonistin im Sinn gehabt, und dank der eindrucksvollen Bilder, die von insgesamt neun Kameramännern binnen elfmonatiger Drehzeit gemacht wurden, ist Regisseur Pölsler ein Meisterwerk gelungen, das atmosphärisch dicht, teils beklemmend und ausgesprochen intensiv wirkt.