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Politkabarettist Schramm (Titelausschnitt)
REZENSION | Lassen Sie es mich so sagen …

„Letzter Platz Indien“

Georg Schramm, begnadeter Politkabarettist, hat erstes Buch geschrieben. Wie in seinen Bühnendarbietungen nimmt er kein Blatt vor den Mund
Von MARIAM BACKES |
Lesedauer ca. 6-7 Minuten |
10.12.2007

Als im April 2006 bekannt wurde, er werde im Mai darauf nach mehr als sechs Jahren Zugehörigkeit seinen letzten Auftritt in der ARD-Sendung Scheibenwischer haben, wurde viel gemutmaßt. Senderseits hatte es geheißen, man habe zwischen den Beteiligten Bruno Jonas, Mathias Richling, der Redaktion und ihm, Georg Schramm, keine Einigung über die inhaltliche und strukturelle Gestaltung der Sendung im Hinblick auf deren geplante Sendezeitausdehnung von 30 auf 45 Minuten erzielen können. Fortan schwieg Schramm weitestgehend über die Gründe.

Betrachtet man den Nach-Schramm-Scheibenwischer, fällt auf, dass die beiden Platzhirsche Jonas und Richling trotz ihrer mehr oder weniger wechselnden Bühnengäste etwas eingerostet wirken. Auch das hektische Rollenspiel Richlings, stets begleitet von überstrapazierten präpubertären Stimmbändern, nutzt sich ab. Dass einer wie Schramm damals Änderungswünsche hatte, liegt heute näher als jemals zuvor. Der Aderlass wurde umso offensichtlicher, als Schramm acht Monate später mit seinem kongenialen Kollegen Urban Priol im ZDF das zur Zeit Bissigste startete, was im deutschen Fernsehen an politischem Kabarett auf Sendung ist: Neues aus der Anstalt.

Jüngst erschien sein Buch Lassen Sie es mich so sagen …, das inzwischen in vierter Hardcover-Auflage vorliegt. Als seine Figur Lothar Dombrowski deutet Schramm nun die Zeichen der Zeit. Er „könnte mit einer Anekdote beginnen, etwas Leichtem, Persönlichem, mit etwas, das sich »hinter den Kulissen« abgespielt hat (…)“, leitet er es ein. Doch „mein erstes und – dessen können Sie gewiss sein – einziges Buch damit beginnen, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern?“ Nicht mit ihm. Sein Erfolg beruhe „doch zum beträchtlichen Teil darauf, eben nicht zu plaudern“, schreibt er weiter.

Dombrowski zu lesen, bedeutet, ihm zuzuhören, in gleicher Weise, als säße man im Publikum. Er beginnt einigermaßen milde, steigert sich aber mehrfach auf den unmissverständlichen Ton, den auch ein breiteres (!) Publikum von ihm spätestens seit der großen Abwatsche vor drei Jahren kennt. Damals zog er einen seiner berüchtigten kohärenten Graphen, der als Pissrinnen-Zitat verbreitet wurde: „Interessensverbände machen die Politik. Die ziehen die Fäden, an denen politische Hampelmänner hängen, die uns auf der Bühne der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen dürfen. Diese Politfiguren dürfen dann in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen Christiansen und Illner ihre Sprechblasen entleeren. Und wenn bei der intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich bei Beckmann und Kerner an der emotionalen Pissrinne unter das Volk mischen.“¹ Der Satz habe sich als „richtiger kabarettistischer Abschiedsgruß“ (zu Dieter Hildebrandts Abschied aus dem Scheibenwischer) erwiesen, gesteht der Autor freimütig. Er habe ihm „Glücksmomente“ beschert, „die als Wegzehrung bleiben.“

Auf 14 Kapiteln bietet Schramm Dombrowski-Zeitzeichendeutungen, die einem mitunter kolossal das Zwerchfell strapazieren, mal für stilles Kopfschütteln oder Nicken sorgen. Mit scheinbarer Leichtigkeit lässt er Ereignisse der jüngeren und nicht mehr ganz so jungen deutschen Geschichte Revue passieren, nimmt sich dem „preußischen Erbe“ ebenso an wie der „Bedeutung der Militärmusik bei den Scharmützeln im badischen Raum anno 1848“ oder Umweltkatastrophen, wie sie in Bhopal oder Tschernobyl geschahen. Nationalismus, vor allem falsch verstandener, und Militarismus, vor allem richtig verstandener, sind aus seinem Repertoire nicht wegzudenken. Da kommt auch der Offizier zur Reserve in ihm reichlich zu Wort, freilich immer mit feinsinniger Ironie aus der Distanz und geschichtsfest, Heckler-Liedverse inbegriffen. „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, dann öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen, Ei warum? – Ei, darum!“

Schramm zertrümmert Dogmen und Hörensagen-Weisheiten, manchmal auch touristische Attraktionen. So den Berliner Gendarmenmarkt, ein in jedem Reiseführer ausgewiesener Spot. Der sei „nicht besonders schön“, sei „aber – für uns unsichtbar – in seiner Glanzzeit ein Treffpunkt der aufgeklärten Elite Europas“ gewesen. Im Zuge dieser Beschreibung gibt er bzw. Dombrowski gleich eine Reihe von Empfehlungen ab, die veritabler als jede Reiseführerprosa sind. „Gehen Sie einmal über den Platz, klappern Sie die im Reiseführer genannten Sehenswürdigkeiten und Gedenktafeln ab, fotografieren Sie meinetwegen das Schiller-Denkmal vorm Nationaltheater, und dann setzen Sie sich kurz hin mit Blick auf die Wein- und Sekthandlung Lutter & Wegner.“ Es ist der Blick fürs Detail, den Schramm beherzigt, vor allem das skurrile, so oft auch politisch wie gesellschaftlich seltsame Kleinod, das am Wegesrand hockt und nicht mit seiner Entdeckung rechnet.

Das eine und andere Gedicht – manches selbst kreiert, manches zitiert, manches im Idiom des Badischen – finden wir in diesem kurzweiligen und viel zu dünn geratenen (270 Seiten) Buch. Etwa Atomtod, Du, gleich zu Anfang. Ganz klassisch aufgebaut. „Früh kommst Du, kalter Freund, Kein Auge kann Dich sehen (…).“ Schiller lässt grüßen. Oder kommt es Goethe gleich? Nachdem das Preußische bis und mit Kapitel 6 durchgeknetet ist, kommt „der Sozialdemokrat – eine aussterbende Spezies“ dran. Es ist dem Duktus des Autors anzumerken, dass er den Niedergang der „Sozen“, wie Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl die Wähler und Mitglieder der SPD immer genannt hatte, kopfschüttelnd begleitet (hat). Was Dombrowski nicht daran hindert, auch ihnen Watschen zu verpassen. Er spricht ihnen glatt das Etymon ab, heutzutage sozialdemokratisch zu sein, gar zu handeln. Und das unternimmt er auf vorzügliche Art und Weise. „Wir erleben das Ende eines äußerst erfolgreichen Gesellschaftsvertrages, der auf Wachstum und Vollbeschäftigung basierte. Wir ahnen, dass Vollbeschäftigung nur eine kurze Episode der Industriegesellschaft gewesen ist und Massenarbeitslosigkeit ihr Normalzustand.“

Ahnen? Wohl mehr als das. Doch da spricht auch ‚Schrammbrowski‘, ein Analyst und Mahner, ein Mann, der an das Gute und an die Politik glaubt, allerdings nicht an Politiker und schon gar nicht an deren Berater, von denen nicht ganz so wenige im Rentenvertragsrang eines Staatssekretärs oder Leitenden Ministerialdirektors pupen. Er nimmt sie, die Phalanx aus Begünstigenden und Günstlingen und auch die Folgen ihrer Entscheidungen, auseinander und delektiert sich auch skrupellos an den Boliden sportlicher Ertüchtigung. Auf recht anschauliche Weise. Dabei kommen auch Sportmoderatoren nicht gut weg. Lorbeerkranzträger Klaus-Dieter Poschi Poschmann ganz bestimmt nicht. Aber er steht nicht allein auf der Abkanzel ‚Schrammbowskis‘. Die Struktur der Sportberichterstattung wird geohrfeigt. „Diese endlosen Vorberichte“, die „Geisteshaltung in den Redaktionen“, die das „eigentliche Ärgernis“ seien. Und die „idiotische Nationenwertung“, die „mit sportlichen Wettkämpfen gar nicht zu tun habe.

‚Schrammbrowski‘ führt eine eigene, plausiblere Exceltabelle an als die Redaktionen der Sportberichterstattung sie je auf dem Schirm hatten. Und entlarvt die Sportredaktionssippe. „Wenn diese (…) Sportexperten nur den Dunst vom Schimmer einer blassen Ahnung davon hätten, dass der ursprüngliche Geist der modernen Spiele gerade gegen diesen Hahnenkampf der Nationen gerichtet war, dann hätten sie (…) einen Medaillenspiegel gezeigt, der die Zahl der Medaillen auf je 10.000 Einwohner des betreffenden Landes widergibt.“ ‚Schrammbrowski‘ als Demograph, als Statistiker? Er rechnet und zieht logische Schlüsse, und zwar nach den Gesetzen der Mathematik. „Sieger der olympischen Nationenwertung wäre dann: die Bahamas! Deutschland und die USA abgeschlagen und China Vorletzter. Letzter Platz Indien, eine Silbermedaille auf 800 Millionen Einwohner.“ Ein wunderbares Buch.

Georg Schramm: Lassen Sie es mich so sagen … Dombrowski deutet die Zeichen der Zeit. Hardcover, 272 S., ISBN 978-3-89667-348-0, Blessing, München, September 2007

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