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AUSGEGRABEN | Texas

James Micheners Texas

Er zählt zu den großen US-amerikanischen Schriftstellern. Eines seiner wichtigsten Werke schrieb er im Alter von 76 Jahren: Texas
Von TOM GEDDIS |
Lesedauer ca. 5-7 Minuten |
03.10.2013

Wer Großes schreiben will, darf das Kleine nicht vernachlässigen. Doch allzu oft generalisieren Autoren. Details liefern sie häufig dort, wo es schlüpfrig wird. Selbst manche in Würde gealterten Schriftsteller, etwa Tom Wolfe oder Martin Walser, lassen sich dazu herab, Liebes- oder Sexszenen zu beschreiben. Doch die Deskription von Körpersäfte austauschenden Romanfiguren macht noch lange keine Literatur aus. Erst recht keine große oder nachhaltige. Denn was ist geblieben von all den Autoren und Autorinnen, die sich vorzugsweise romanesk mit dem Thema oder gar sich selbst auseinandersetzten? Charlotte Roche (Feuchtgebiete), Virginie Despentes (Baise-moi; dt.: Fick mich!)?

James A. Michener (1907-97) hatte sich nie auf derart profane Ebenen hinab begeben, obwohl er Zwischenmenschliches und Begierden in seinen Romanen durchaus thematisierte. Doch eleganter. So in seinem Roman Texas (1985). „Fräulein Macnab, Sie sind hinreißend. Einfach hinreißend.“ Übersetzt in die Moderne hieße das vielleicht soviel wie: Sie sind ’ne scharfe Braut. Gehen wir zu Ihnen oder zu mir? Oder machen wir’s gleich hier? Es gibt in Micheners Romanen Wichtigeres als die Beschreibung von Platitüden zu Erotik, Sex und dazugehörigen Praktiken. Ihm ist das Drama im Kleinen wie im Großen wichtig. Wobei es meist lokal beginnt und sich dann ausbreitet. Doch nicht etwa geographisch wie häufig bei Thomas Pynchon, der es zudem vermag, hunderte und auf Seite 1000 noch neue Figuren auftreten zu lassen. Bei Michener weiten sich die Dramen geographisch überschaubar, jedoch intensiv aus, und sind – wie auch bei Pynchon – in einen historischen Rahmen eingebettet.

So in Micheners erstem großen Roman The Bridges at Toko-Ri (1953), der den Koreakrieg thematisiert. Sayonara (1954) setzt sich mit den kulturellen Gegensätzen in einer Liebesbeziehung zwischen einem US-amerikanischen Offizier und einer Japanerin und rassistischen Dogmen kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs auseinander. Bekanntlich mochten die im Zweiten Weltkrieg zu Hitler gestandenen Japaner die US-Amerikaner nicht. Erst recht nicht mehr, nachdem die auf Hiroshima und Nagasaki je eine Atombombe abgeworfen und Japan somit nicht nur zu Kapitulation gezwungen, sondern auch schwer gedemütigt hatten.

Fünf Jahre später legte Michener Hawaii vor, einen episodenhaften Roman, in dem er sich mit der Inselgruppe, seinen autochthonen Bewohnern und deren zunehmender Durchmischung aufgrund von Neuankömmlingen beschäftigt. Der Roman ist aus heutiger Sicht ein modernes Frühwerk darüber, wie eine isolierte, aber funktionierende friedliche Gesellschaft von Eingeborenen nach und nach durch Zuwanderer verändert wird. Ein weiterer Roman, wenn auch nicht von gleicher Klasse wie seine vorangegangenen, ist Poland (1983), in dem er die stark katholisch geprägte gesellschaftliche Struktur Polens zu Zeiten der Diktatur und des entstehenden Umbruchs betrachtet und einen ordentlichen Abriss über Polens historische Behandlung und Stellung im Spiel der europäischen Mächte gibt. Später folgten Alaska (1988) und Mexico (1992).

Besonders herausragend ist Michener, wenn es um das eigene Land, die eigene Nation geht. Im Roman Alaska machte er deutlich, wie es um die geographisch und politisch noch nicht festgezurrte Nation zu Beginn stand und zeichnet ihre Evolution nach. Von den Entdeckern über die blutigen Auseinandersetzungen mit Armutsmigranten und Glücksrittern, dem Zusammenprall mit den Russen bis zur kolossalen Zurückdrängung der Inuit und anderen Ethnien. Ein Kaleidoskop soziokultureller Ereignisse. Wie auch in seinem Roman Texas, der drei Jahre zuvor erschien und wie eine strukturelle Blaupause zu Alaska wirkt. In Texas informiert Michener zu Beginn hinsichtlich der Akteure über „Fact and Fiction“ und erweist dem Leser damit einen Dienst, der nicht hoch genug geschätzt werden kann, zumal der Roman – je nach Ausgabe – bis zu 1500 Seiten aufweist.

Kern des voluminösen Werks ist die Entstehungsgeschichte des heutigen Texas. Es ist der Neujahrstag 1983, als der texanische Gouverneur den Industriellen Ransom Rusk, den Großrancher Lorenzo Quimper, die Senatorentochter Lorena Cobb, den Soziologieprofessor Effraín Garza und den Historiker Travis Barlow in seinem Büro versammelt. Alle haben nach Texas eingewanderte, teils berühmte Vorfahren. Bis auf Garza und Barlow prahlen sie damit. Der Gouverneur benennt sie als Task Force und beauftragt sie unter der Leitung von Barlow, ein Konzept zu erstellen, wie Schüler und Studenten zur texanischen Geschichte unterrichtet werden können und was sie lernen sollen. Dann verlässt er den Raum. Rusk, Quimper und Cobb wollen wissen, ob auch Garza auf texanische Vorfahren zurückblicken kann und sind überrascht, als er sagt: „Auf 21 Generationen.“

Michener erzählt die Geschichte von Garzas Vorfahren, die im November 1535 im Hafen der mexikanischen Stadt Vera Cruz (heute: Veracruz) beginnt. Die Spanier sind längst da, erobern Mexiko nach und nach und erreichen später über den so bezeichneten Camino Real (dt.: Königsweg) Tejas (heute: Texas). Dort treffen sie auf die Jagd- und Siedlungsregionen der Apachen und Comanchen. Wenige Jahrzehnte danach treffen sie auf die ersten Siedlerhorden, die zu großem Teil aus Deutschland, Tschechien, Frankreich und Italien stammen. Verdrängungskonflikte und Verteilungskämpfe um fruchtbares Land und Wasser folgen. Der Unabhängigkeitskrieg im mexikanischen Mutterland gegen die Konquistadoren (1810-21) und der Krieg zwischen Mexiko und den USA (1846-48) sind weitere historische Begebenheiten, die Michener in Bezug zu den Familien der Gouverneursrunde setzt. Denn abseits von Garzas Vorfahren haben sich die der anderen zwar mit Ruhm, aber auch mit Blut bekleckert oder darin gebadet.

Michener zeichnet die schon früh erfolgte, häufig umkämpfte Absteckung von Claims und die Vorherrschaft über das Land nach. Viehbarone, großkopferte Immobilienbesitzer, Öl-Driller, käufliche Politiker und manch zwielichtiger Pfaffe stehen Pate bei der Verteilung von Land und Bodenschätzen. Alle, die zum System Ja sagen, profitieren. Liebesbeziehungen a la John Steinbecks Jenseits von Eden sind nicht so fern. Nachdem die Task Force des Gouverneurs zusammengetragen hat, wie Texas entstanden ist und welche Akteure daran beteiligt waren, kommt es zum Disput darüber, ob die Forschungsergebnisse im Detail in die offizielle Geschichtsschreibung einfließen sollen, zumal bislang hoch angesehene Familien hinsichtlich ihrer Vorfahren in keinem hellen Licht erscheinen.

Er vermittelt die Geschichte seines Heimatstaates Texas in 14 Kapiteln und geht wie in den meisten seiner Romane akribisch ins Detail. Dadurch erfährt der Leser viel über die Vorgehensweise der zugewanderten texanischen Siedler und Landnehmer, um das einstmals zu Mexiko (Neuspanien) gehörende Territorium, den teilweisen Genozid an der autochthonen indigenen Bevölkerung und den Aufstieg von Texas zu einem der wichtigsten Gliedstaaten der USA.

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