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AUSGEGRABEN | Orson Welles – The Stories of his Life

Immer größer als das Leben

Von HUBERTUS MOLLN |
Lesedauer ca. 3-4 Minuten |
30.03.2010

Orson Welles war bereits Kult in den USA, als er noch jung war und in Deutschland unbekannt. Viele hassten ihn und wohl ebensoviele dürften ihn respektiert, manche auch geliebt haben. Der Hass ergoss sich in einer ersten Phase über ihn, nachdem er an Halloween 1938 im Radiohörspiel War of the Worlds, basierend auf H. G. Wells gleichnamigem Roman, die bevorstehende Invasion durch Marsmenschen angekündigt hatte, was eine Massenpanik bei jenen Radiohörern ausgelöst haben soll, die nicht von Beginn an zugehört hatten. Hätten sie die Einleitung des Hörspiels mitbekommen, wäre es wohl kaum zu dieser längst Legende gewordenen Panik gekommen. Selbst Hitler soll das Phänomen später in einer Rede aufgegriffen haben, wie Richard J. Hand in seinem 2006 erschienen Buch Terror on the Air!: Horror Radio in America, 1931-1952 bemerkte. Durch das Hörspiel war Welles schlagartig in den USA bekannt. Die zweite Phase des gegen ihn gerichteten Hasses schwappte ihm entgegen, nachdem sein erster Langfilm – Citizen Kane – 1941 in die US-Kinos gekommen war. Ein Film, der längst zu den besten des 20. Jahrhunderts gehört. Doch dieser Film, in dem Welles den US-amerikanischen Verleger William Randolph Hearst verkörpert und dabei zur Hochform aufläuft, die er fortan nie wieder verlassen sollte, veranlasste Hearst, seine Medienmacht gegen ihn in Stellung zu bringen. Der Film floppte daher einigermaßen in den US-Kinos.

Es sind über die Jahre nach Welles‘ Tod (1985) viele Biographien erschienen, die sich mit dem manischen, teilweise an Größenwahn leidenden Multitalent befasst haben. Hingegen ist kaum eine so intensiv geschrieben wie die von Peter Conrad. Unterteilt in 16 Kapitel und versehen mit einem einleitenden Vorwort unternimmt Conrad den recht erfolgreichen Versuch, Orson Welles als ein Phänomen zu sezieren, das seine Rollen gleichermaßen spielte wie lebte. Natürlich geht der Autor auch darauf ein, dass Welles stets mehrere Projekte – sei es Radio, Film, Fernsehen, Theater, Drehbuchschreiben, Produzententum oder Schauspielerei – gleichzeitig verwirklichen wollte und manche daher oft unvollendet blieben oder sich jahrelang in die Länge zogen, bis sie vollendet werden konnten. Doch das ist nicht das allererste Anliegen von Conrad.

Originalausaugabe, Hardcover, 2003

Er erzählt manche Geschichten und Hintergründe, die sich vor, zu und hinter Welles‘ Projekten abspielten – und in ihm. Zwar gibt Conrad auch einen Überblick zur hinlänglich bekannten Herkunft und Prägung von Welles, doch beleuchtet er so manchen Strang, den andere Autoren nicht intensiv genug bearbeitet haben, weiter und hakt nach. Dadurch erfährt der Leser etwa, dass Shakespeare-Liebhaber Welles Gründe hatte, nie in The Tempest (Der Sturm) als Schauspieler mitzuwirken, den Prospero nicht spielen wollte und auch den Hamlet nicht. Aus Sicht des damaligen Theater-Establishments, vor allem des britischen, war dies geradezu ein Affront. Kein großer Schauspieler lehnte derartige Rollen ab. Wie Conrad beschreibt, hatte Welles seine Gründe.

Das Buch führt tief in die Psyche von Orson Welles, immer vor dem Hintergrund der Aufgaben, mit denen er es zu tun hatte. Der Autor verzichtet auf Schnickschnack und Boulevard, konzentriert sich stattdessen auf die Schizophrenie, in der Welles gelebt haben muss und in seinen Rollen zuweilen verkörperte. Was Conrad – wie viele andere Biographen – nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass Welles auch Kultstatus unter Leuten des Musik-Business‘ besaß. So trat er in dem genialen Album Tales of Mystery and Imagination Edgar Allan Poe von The Alan Parsons Project als Erzähler zu den Stücken A Dream Within A Dream und The Fall Of The House Of Usher an. Es sei Conrad verziehen, denn er liefert mit seinem Buch einen enorm wichtigen Beitrag zum Verständnis von Orson Welles Persönlichkeit und dessen Œvre und damit auch ein wichtiges Werk für all jene, die sich tiefer mit dem Mann befassen wollen, der von sich sagte: „Ich habe immer größer als das Leben zu sein. Es ist mir leider so mitgegeben.“

Peter Conrad: Orson Welles – The Stories of His Life. Hardover, 384 S., ISBN 0-571-20978-5, Faber and Faber, London, 2003

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