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Titelausschnitt
REZENSION | Rummelplatz

„Graue Welt in C-Dur“

Nach 42 Jahren ist das in der ehemaligen DDR nicht zur Druckreife gelangte wohl wichtigste Werk des verstorbenen Autors Werner Bräunig komplett erschienen
Von MARIAM BACKES |
Lesedauer ca. 3-4 Minuten |
23.05.2007

Es sind nicht wenige, die sich noch mit deutlichen Bildern im Kopf an den Fall der Mauer erinnern. Bis dahin war es eine bipolare Welt, in der sich West und Ost feindselig gegenübergestanden hatten. 62 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind es aber nur noch wenige, bei denen die Bilder der Nachkriegszeit noch lebendig sind. Die Zeitzeugen sterben unaufhaltsam aus. Umso wichtiger ist der vor mehr als 40 Jahren geschriebene Roman Werner Bräunigs, Rummelplatz. Sicherlich: Er schreibt in einem Duktus, der im Westen Deutschlands viele Jahre lang als überholt galt, seit einigen Jahren aber wieder geschätzt wird. Als prä-post-modern könnte man ihn bezeichnen, würde damit aber weder dem Autor noch dem Roman gerecht.

In Rummelplatz sind die Dialoge klar und knapp auf das Nötigste konzentriert. Und daher frappierend aussagestark. Niemand raunte, erläuterte, seufzte und so weiter, sondern sagte/fragte. Basta. Das mag der Zeit, in der dieser Roman geschrieben wurde, geschuldet sein – und erweist sich als zeitlos. Bräunig, im Alter von 42 Jahren 1976 verstorben, schwelgt nicht in Satzbau oder Prosaischem. Er erzählt, und das deutlich. Das graue Nachkriegsdeutschland wird in Rummelplatz sichtbar. Doch geht es nicht um Trümmerfrauen oder den Kalten Krieg an sich. Der Autor lenkt sein Augenmerk auf das Gemeine, Alltägliche unter den sowjetischen Besatzern, „dem Staat im Staate“, rund um „die Wismut“, dem Uranbergwerk im Erzgebirge. Er beschreibt eindringlich die Verhältnisse und Gegebenheiten, in denen sich jene wiederfanden und zurechtfinden mussten, die nach Ostdeutschland heimgekehrt waren, und das Schielen nach dem Westen.

Larmoyanz ist ihm dabei fremd. Leichte Ironie, zuweilen gar Spöttisches liest man in Rummelplatz. Mit derart feinem Faden gesponnen, dass man innerlich den Hut zieht. Frech, irgendwie, sagte man heutzutage auch im Westen, wenn ein noch lebender Schriftsteller von derartiger Schreibqualität publiziert würde. Bräunig aber schreibt nicht frech. Er schreibt, wie es zuging, berichtet fast. Auf den ersten Blick wirken da manche Passagen recht harmlos auf den Leser, der von der Geschichte der ehemaligen DDR wenig Kenntnis hat. Doch den einem Tatsachenroman nahekommenden Beschreibungen wohnt durchgehend Kraftvolles inne.

Auszug, S. 129: „(…) Fünf Papiermaschinen gab es im Betrieb, eine davon war fast immer abgestellt. Einmal aus Rohstoffmangel, Zellulose fehlte, Kaolin, Trockenfilze, Ersatzteile. Ein andermal aus Mangel an Arbeitskräften. Die verdienten ohnehin wenig, aber wenn eine Maschine abgestellt werden muβte, verdienten sie noch weniger, Ausfallzeit, Aushilfsarbeiten, Holz entladen und kleine Flickreparaturen, da kündigte der eine, kündigte der andere. Wenn dann die Rohstoffe kamen, fehlten die Arbeiter (…).“

Schon das Wort ‚Mangel‘ implizierte Kritik in der „grauen Welt in C-Dur“. In der von Betagten beherrschten noch jungen DDR, die es nicht mal bis in die Wechseljahre, geschweige denn ins Rentenalter geschafft haben sollte, war der Mangel zwar ständiger Begleiter der Arbeiter und Bauern, ihn jedoch zu benennen, gar in einem Roman, war kühn und unerwünscht. Die Sozialistische Einheitspartei (SED) konnte gar nicht amüsiert gewesen sein, nachdem ihr das erste Kapitel des Buches zur Durchsicht gelangt war.

Während Westdeutschlands Wiederaufbau mit Mitteln aus dem Marshallplan angeschoben wurde, erlebte Ostdeutschland noch lange Zeit die Fronschaft durch die Sowjetunion. Und während den Kumpeln im westdeutschen Bergbau Tagesrationen an Milch zustanden, waren es im Uranbergbau Wismut Vodkarationen. In Rummelplatz werden die Entbehrungen sichtbar, denen die Ostdeutschen lange Zeit ausgesetzt waren. Bräunig verwebt sie scheinbar emotionslos in seine Geschichte, in der es viele Protagonisten gibt, aber keinen, der herausragt. Der Plot ist der Protagonist. Sicherlich wäre Werner Bräunig auch in der Adenauer-Republik angeeckt, hätte er sie mit den Rummelplatz beherrschenden stilistischen Mitteln vorgeführt. Wahrscheinlich wäre er vom Boulevard vermöbelt worden, der die DDR in Anführungszeichen setzte und Deutschland nicht selten in den Grenzen von 1937 herbeisehnte.

712 Seiten ist der Roman stark und es ist keine Seite davon überflüssig. Ein besonderer, heute in Romanen unüblicher Dienst an den Leser ist der 39seitige Anhang mit 621 Anmerkungen und Erläuterungen. Auch die von der Herausgeberin Angela Drescher auf weiteren 13 Seiten bereitgestellten editorischen Notizen zu den einzelnen Manuskriptfassungen des Romans verdienen Beachtung.

Werner Bräunig: Rummelplatz. Hartcover, 770 S.; ISBN 978-3-351-03210-4. Aufbau-Verlag, Berlin, 2007. Erschienen am 16. März 2007

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