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Titelausschnitt
REZENSION | Gerhard Wisnewski

Drahtzieher der Macht

Alljährlich im Frühsommer treffen sich 100 bis 150 führende Persönlichkeiten aus Adel, Hochfinanz, Industrie und Politik zu informellen Gesprächen, die unter dem Begriff Bilderberg-Konferenz bekannt geworden sind. Stets mit von der Partie: deutsche Regierungspolitiker und Manager. Der Journalist Gerhard Wisnewski hat darüber nun ein Buch geschrieben
Von TOM GEDDIS |
Lesedauer ca. 6-8 Minuten |
18.05.2010

Mitte der 1990er Jahre steckte das Internet – wie man es heute kennt – noch in den Kinderschuhen, zumal in Deutschland. Es war zunächst eine große Spielwiese für die Massen, auf der America Online (AOL), die Suchmaschine von Altavista und pornöse Inhalte dominierten. Wer sich für Politisches und Geschichtliches abseits des in Schule und Hochschule Gelernten interessierte, musste umfangreich suchen, um Brauchbares zu finden. In mancher Uni-Bibliothek oder in Antiquariaten konnte man meist fündiger als im Netz werden und beispielsweise im Hinblick auf die Politik der USA Bücher von David M. Ricci (The Transformation of American Politics – The New Washington and the Rise of Think Tanks, 1993), Edward Herman und Gerry O’Sullivan (The „Terrorism“ Industry – The Experts and Institutions that shape our View of Terror, 1989) oder Michael Parenti (The Sword and the Dollar – Imperialism, Revolution, and the Arms Race, 1989) finden. Bücher, die auf kaum einer Literaturliste eines deutschen Hochschullehrers im Fach Politikwissenschaft oder Geschichte Platz fanden.

Alles wichtige Bücher, die nie ins Deutsche übersetzt wurden, obwohl sie Bestseller-Potential hatten. Ermöglichten dem Leser etwa Bücher diesen Inhalts schon einen guten Einblick in das Innenleben internationaler, von den USA dominierter Politik, waren es Jahre zuvor etwa Carroll Quigley mit Tragedy & Hope (1966/1975/1998) und Gary Allen mit None Dare Call It Conspiracy (1971) und The Rockefeller File (1976), die hinter die Kulissen der Macht blickten und ihre Puppenspieler beim Namen nannten, etwa: Bilderberger, Trilaterale Kommission, The Round Table Group, Council on Foreign Relations. In die breite Öffentlichkeit gelangten diese Informationen lange Jahre nicht, was weniger daran lag, dass der deutsche Journalismus davon nur wenig wusste, sondern vielmehr am Umstand, dass die Informationen zu brisant waren. Erst das Internet sorgte dafür, dass die Informationen über die „wahren Herrscher der Welt“ (Wisnewski) nicht mehr nur in berufenen Kreisen und Hochschulkirchtürmen kursierten. Fragte man in den frühen 1990er Jahren seinen Politikprofessor nach den Bilderbergern, winkte der lapidar ab. „Darum sollten Sie sich nun wirklich nicht kümmern.“

Etwa ab Mitte 1996, nachdem ein Reporter des Toronto Star über die im Frühsommer des gleichen Jahres in King City, einem wohlhabenden Vorort von Toronto, abgehaltene Bilderberg-Konferenz und seine Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden berichtete, konnte man im Netz unter dem Stichwort Bilderberger mehr und mehr Einträge finden. So von dem beseelten David Icke (…and the truth shall set you free, 1995), von John Whitley (New World Order Intelligence Update) oder der American Free Press. Allesamt gelten allgemeinhin als Esoteriker oder rechtsnationale Verschwörungstheoretiker, nicht zuletzt, weil sie sich des Themas einigermaßen predigend und teils hysterisch annehmen. Entspannter, dadurch lesenswerter und verständlicher, bringt Gerhard Wisnewski das Thema Bilderberger. Er liefert ähnlich wie seinerzeit Gary Allen eine nachvollziehbare Analyse, bringt die Dinge in Zusammenhang und zieht Schlussfolgerungen, die einleuchten. Der Autor hat sich die Mühe gemacht, zum letztjährigen Bilderberg-Treffen nach Athen zu reisen und schildert einleitend seine dort gemachten Erlebnisse, die sich wie ein Thriller lesen.

In den seit 1954 existierenden Zirkel, benannt nach dem Hotel Bilderberg, das in der Nähe der niederländischen Stadt Arnhem (Arnheim) steht, werde man eingeladen. Alle deutschen Bundeskanzler sind laut Wisnewski bisher einer Einladung zu diesen informellen, in den vergangenen Jahrzehnten mit immer mehr Sicherheitsaufwand – Polizei und Militär zu Lande, zu Wasser und in der Luft – abgeschirmten zwei- bis dreitägigen Konferenzen gefolgt und dort hingereist. Manche mehrfach, andere zu Zeiten, als sie noch gar nicht zum Kanzler oder zur Kanzlerin gewählt worden waren, weist der Autor nach. Bekannt ist auch, dass der ehemalige Bundesaußenminister, FDP-Vorsitzende, Koalitionspartner von Willy Brandts SPD/FDP-Regierung (1969-74), in seiner Heranwachsendenzeit NSDAP-Mitglied und heutiger Ehrenvorsitzende der Liberalen, Walter Scheel (90), auf die Konferenzen eingeladen wurde. Alle Nachfolger in diesem Amt nahmen bisher an den Bilderberg-Konferenzen teil, wie Wisnewski anschaulich darlegt.

Folgt man einigen seiner Quellenangaben, dann stößt man zum Beispiel in der 4., unveränderten Auflage 1997 der deutschen Ausgabe von Gary Allens Rockefeller File auf die Teilnehmerliste der vom 21.-24. Mai 1992 abgehaltenen Bilderberg-Konferenz im französischen Evian-les-Bains. Der damalige sächsische Ministerpräsident, Kurt Biedenkopf (80), findet sich darauf ebenso wie der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe, der damalige Sprecher und Vorstandschef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, und der seinerzeitige „Diplomatische Korrespondent“ Christoph Bertram sowie sein Chefredakteur der Wochenschrift Die Zeit, Theo Sommer. Im Jahr darauf im griechischen Vouliagmeni, einem knapp 30 km südlich von Athen gelegenen Küstenort mit beinahe der gleichen deutschen Besetzung.¹ Weitere Ministerpräsidenten, Verteidigungsminister, Deutsche-Bank-Chefs und Zeit-Redakteure folgten und folgen bis heute den Einladungen. Der Autor bringt dies in nicht zu langen Kapiteln anhand von wichtigen Beispielen dem Leser näher, indem er die Konferenzen und daran teilnehmende deutsche Figuren in einen zeitgeschichtlichen regionalen wie nationalen politischen Kontext einbindet; auf internationaler Ebene in einen weltpolitischen.

Und so eröffnet sich auch mit Wisnewskis Buch dem nicht einschlägig vorgebildeten Leser eine Welt, wie sie in den Geschichtsbüchern europäischer oder US-amerikanischer Schulen nicht ansatzweise vorkommt, gar nicht mal auf dem Lehrplan steht. Es ist die Welt global denkender, extrem wohlhabender und einflussreicher Politstrategen, die Wisnewski einem vor Augen führt. Ihre zentralen Mitglieder sind demzufolge in der Lage, über Wohlergehen oder Ruin, Frieden oder Krieg von Staaten und seinen Bevölkerungen zu befinden.

Entstanden ist der Klub dieser vergleichsweise wenigen Mächtigen auf Initiative einer der schillerndsten Personen der Zeit- und Weltgeschichte, Józef Hironim Retinger, Begründer des Europarates. Ihm widmet der Autor ein kleines Kapitel. Retinger erscheint wie ein internationalistisches Phantom, das zeitlebens um die Welt zog, um die Eliten des Globus‘ von der Idee einer Eine-Welt-Regierung zu überzeugen. Bevor er Prinz Bernhard von den Niederlanden (1905-2002) dazu haben gewinnen können, die Gründungskonferenz der Bilderberger einzuberufen, sei er Angehöriger der Polnischen Exilarmee in Großbritannien gewesen und als Fallschirmspringer ausgebildet worden, schreibt Wisnewski unter Berufung auf den Autor Andreas von Rétyi².

Der Handlungsreisende in Sachen internationaler Politik, ausgebildet zum Priester und Literaturwissenschaftler, scheint nach der Lektüre vor allem ein Agent des Papstes gewesen zu sein. Ein polnischer Jesuit, der nach seinem Studium an der Pariser Sorbonne nach England gegangen sei, ein „Polnisches Büro in London gegründet und umgehend einen Termin beim Premierminister bekommen habe“, so Wisneswki. Ergänzend sei hinzugefügt, dass Retinger ab 1917 im nachrevolutionären Mexiko als politischer Berater des Arbeiterführers, Gründers der Arbeiterpartei und späteren, korrupten sowie sinistren Wirtschaftsministers unter der Regierung Plutarco Elías Calles, Luis Morones (1890-1946), deutlichen Einfluss auf die mexikanische Politik hatte, wie Arnaldo Córdova unter Bezugnahme auf Retingers 1927 erschienenem Buch über die Zeit in Mexiko schreibt.³

Wisnewski hat verschiedene deutsche Bilderberg-Konferenz-Teilnehmer um nähere Auskünfte gebeten, darunter Außenminister Guido Westerwelle, Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping, die Altkanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl, und die Antwortschreiben im Anhang untergebracht. Sie vermitteln einen interessanten Einblick in die Wertschätzung journalistischer Arbeit und Recherche, wenn das Stichwort Bilderberg-Konferenzen fällt. Wer seinen plausiblen Schlussfolgerungen zu den Verknüpfungen von weltpolitischen Ereignissen, etwa Krieg, Auflösung, Unterwanderung souveräner Staaten, Finanz- und Wirtschaftskrisen mit den Tagungsdaten der Konferenzen folgt, dem erscheinen die Protagonisten der bürgerlichen Parteien in Deutschland, Europa und den Nato-Staaten wie Zirkuspferde.

¹ laut dt. Ausgabe von None Dare It Conspiracy: Die Insider – Baumeister einer „Neuen Welt-Ordnung“, 13. erweiterte Auflage, 1995, Wiesbaden

² Andreas von Rétyi: Bilderberger – Das geheime Zentrum der Macht. Rottenburg, 2006

³ J. H. Retinger: Morones de México. Historia del movimiento obrero en ese país. México, 1927. In: Arnaldo Córdoba: La ideología de la Revolución Mexicana. La formación del nuevo régimen. Instituto de Investigaciones Sociales, UNAM, D. F., México, 8. Aufl., 1980

Gerhard Wisnewski: Drahtzieher der Macht. Die Bilderberger – Verschwörung der Spitzen von Wirtschaft, Politik und Medien. Tb, Originalausgabe, 320 S., ISBN 978-3-426-78206-4, Knaur, München, Februar 2010

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