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Titelausschnitt
REZENSION | Acid Dreams

Acid Dreams – Under the Mushroom, Over the Rainbow

Überarbeitete Neuauflage von Acid Dreams: LSD - The Complete History of LSD, the Sixties, and beyond von Martin A. Lee & Bruce Shlain
Von TOM GEDDIS |
Lesedauer ca. 4-5 Minuten |
24.10.2006

Seit Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten vor knapp zehn Jahren einen Hinweis zu diesem Buch im Netz gab, ist Acid Dreams einigen Lesern hierzulande bekannt. Eine deutsche Übersetzung dieses seit zwanzig Jahren in den USA regelmäßig aufgelegten Longsellers existiert nicht. Dabei lohnte es sich, räumen die Autoren doch mit einigen Mythen radikal auf, die sich ums LSD und andere psychedelische Drogen spätestens seit Albert Hofmanns Buch LSD – Mein Sorgenkind und Timothy Learys High Priest oder auch The Politics of Ecstasy gebildet haben. Man merkt es dem Text inhaltlich an, dass die Autoren eine Fülle von deklassifizierten Dokumenten, Papieren und Studien gesichtet haben, die im Literaturverzeichnis erfreulicherweise angegeben sind.

Das Buch beginnt mit einem kleinen Vorwort des im kommunistischen Rumänien aufgewachsenen und dann in New Yorks Lower East Side gelandeten Andrei Codrescu. Er schildert auf knappe Weise, dass er nicht wie viele andere, die LSD probierten, ineinander übergehende, sich stets erneuernde bunte Gehirnfraktale gesehen habe, sondern Milliarden winzige Hämmer und Sicheln. Im darauffolgenden Prolog erzählen Lee/Shlain kurz etwas über Albert Hofmann, der als erster LSD synthetisierte, über manche zu Kultfiguren mutierte Protagonisten, und über das MK-Ultra-Projekt der CIA. Letzteres wird eingehend dargelegt, und es kann gesagt werden, dass die Autoren zu den ersten gehörten, die dieses Thema öffentlich gemacht hatten. Leider gehören sie auch zu denen, auf die als Quelle, insbesondere was das MK-Ultra-Projekt betrifft, in Europa bislang nur wenig hingewiesen wurde.

Ausgabe von 1992

In rasanter Schreibe geht es dann schon im ersten von zehn Kapiteln zur Sache (In the Beginning there was Madness …), indem die Suche nach der Truth Drug von der Pike auf skizziert wird und einige Projekte (Artichoke; Bluebird; Chatter) hierzu beschrieben werden, wie auch, was nach den USA ausgeflogene Nazis damit zu tun hatten. Die Psychedlic Pioneers, zu denen vor allen der Bruder des Scientology-Gründers Ron Lafayette Hubbard, Captain Alfred M. Hubbard gehörte – der „Johnny Appleseed of LSD“ -, nehmen sich Lee/Shlain in Kapitel zwei vor. Ebenso und ungeachtet schriftstellerischer Leistungen auch den Acid Head Aldous Huxley, der mit seinem psycho-psychedelischen Guru Dr. Humphrey Osmond mitunter Verse austauschte. Kostprobe Huxley (zitiert): „To make this trivial world sublime, take half a Gramme of phanerthyme.“ Antwort Osmond (zitiert): „To fathom hell or soar angelic, just take a pinch of psychedelic.“

Kapitel 3 (Under the Mushroom, over the Rainbow) behandelt jene Phase, in der sich das LSD von klinischen Erprobungen, bestialischer Lobotomie und einigen wenigen prominenten Probanden löste und zunächst personifizierte Kader des amerikanischen Kapitalismus erreichte – etwa Time-Mitgründer und China-Liebhaber Henry Luce oder Milliardär William Mellon -, kurz danach jedoch, befördert von Dichtern, Denkern und Beatniks, etwa Allen Ginsberg und Jack Kerouac, in die Öffentlichkeit geriet. Bitter für die Flower-Power-Bewegung, aber unumstößlich, machen die Autoren klar, dass hier ein Projekt aus dem Ruder gelaufen sei, ohne das es die Blumenkinder, die in San Franciscos Stadtteil Haight Ashbury ihre Wurzeln haben, nie gegeben hätte.

LSD, so vermittelt es das Buch, führte mehr als eine Generation auf falsche Fährten. LSD war Big Business, Big Innenpolitik, Big Sonstwas, doch beileibe nichts Gottgegebenes. Das alte Mutterkorn, der Schimmelpilz, der Getreidedreschern nie recht war, doch Millionen Teenagern und Twens und aus diesem Alter Entwachsenen Glücks- oder Horrorgefühle geboten hat, prägte die Kulturindustrie mehr als alles andere. Lee/Shlain lassen in diesem erhellenden Buch nicht unerwähnt, dass auch das politische Amerika ohne diese Droge ein anderes wäre. Nun könnte das Buch auch seit langem eine Droge für all jene sein, die sich mit dem Thema beschäftigen. Eine bisher siebenstellige Auflage spricht zumindest dafür.

Ausgabe von 1985

Lee/Shlain kritisieren nicht das LSD, aber dessen Kultfiguren und Protagonisten. Zu diesen sind untrennbar Timothy Leary, Ralph Metzner und Abbie Hoffman zu zählen, Harvard-Akademiker, die im Laufe ihres Trippings drauf und dran waren, verrückt zu werden. Sie, die LSD nur noch pseudowissenschaftlich angegangen waren, befanden sich der Lektüre nach im Prinzip ledig,ich in den unendlichen Weiten und Sphären ihrer Gehirne und wurden zu Prisoners of LSD (Kapitel 10), und manche von ihnen dann auch zu Gejagten und dann richtig Eingelochten, die den wissenschaftlichen Überblick verloren hatten und am Ende nur noch Bücher schreiben konnten, die Lektoren zur Verzweiflung brachten.

Wie eingangs gesagt, beseitigt das Buch einige Mythen. Es bietet zudem auch einen erschütternden oder belustigenden Einblick in die wirre Zeit, als die CIA und das US-Militär dachten, man könne ganz Russland trippen und so den Kalten oder einen sonstigen Krieg gewinnen. Und es bietet einen tiefen Einblick in die sozialen, politischen und kulturellen Verflechtungen, die diese Droge geschaffen hat. Wer je LSD konsumierte, hat seine subjektiven positiven oder negativen Erfahrungen gemacht, hat im Universum weit hinter dem Saturn neue Galaxien entdeckt oder den Fall in ein schwarzes Loch erlebt. Wer Acid Dreams liest, weiß dann auch, wer ihn dahin gebracht hat.

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